Rückstellungen sind Verbindlichkeiten oder Verlustposten, die am Bilanzstichtag ihrer Höhe oder Fälligkeit nach noch unbe-stimmt sind. Wirtschaftsstudenten im ersten Semester ahnen noch nicht, welch bösartige Verstrickungen in dieser simplen Definition enthalten sind. Ihr Vorbild ist der ordentliche, sorgfältige Kaufmann, der seine unternehmerischen Risiken wahrheitsgemäß bilanzieren sollte. Die Realität ist eine Steuerbilanz, die nur Stückwerk und halbe Wahrheiten aufzeigt.
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Das Einkommensteuergesetz macht sich erst gar nicht die Mühe, Rückstellungen zu definieren. Es gliedert die Vorsorgen in Sozialkapital (Abfertigungen, Pensionsvorsorgen) und solche für ungewisse Verbindlichkeiten sowie für drohende Verluste. Die beiden letzteren sind es, auf denen der Fiskus seinen kräftigen Daumen hält.
Verbindlichkeitsrückstellungen
Was Verbindlichkeitsrückstellungen sind, hat das Höchst-gericht erst kürzlich wieder kommentiert. Es sind latente Schuldposten, deren wirtschaftliche Verursachung vor dem Bilanzstichtag liegen muss. Damit weicht unser Höchstgericht von der sonst so liebevoll abgekupferten Judikatur des bundesdeutschen Partnergerichts ab, das nicht unbedingt auf den Verursachungszeitpunkt abstellt. Dafür wird die V-Rückstellung auch schon mal als Ansammlungsrückstellung definiert - dann nämlich, wenn sich die dräuende Gefahr in mehreren Altjahren aufgebaut hat.
Drohverlustrückstellungen
Die Rückstellung für drohende Verluste ("Drohverlustrückstellungen") leitet sich aus Pleiten, Pech und Pannen ab, die sich bei schwebenden Geschäften abzeichnen und am Bilanzstichtag schon einigermaßen konkret ankündigen. Wenn ein Unternehmer bei einem Geschäftsfall, zu dem er sich am Jahresultimo verpflichtet hat, absehen kann, dass er damit einen Verlust einfahren wird, dann ist das ein Grund für eine Rückstellung Marke "D". Die dritte Gruppe von Rückstellungen, der freilich steuerlicher Abscheu gewiss ist und die dementsprechend aus jeder Steuerbilanz verbannt ist, umfasst die sogenannten Aufwandsrückstellungen, also Vorsorgen für Aufwendungen, die im Bilanzjahr notwendig gewesen wären, aber (aus welchem Grunde immer) auf künftige Wirtschaftsjahre aufgeschoben werden müssen.
Aufwandsrückstellungen
Mit diesem kargen Rückstellungswissen ausgerüstet, weiß jeder pflichtbewusste Unternehmer, insbesondere einer, dessen Firma das Firmenbuch ziert, dass er handelsrechtlich verpflichtet ist, alle latenten Risiken, Gefahren und Unterlassungen sorgfältig und im vollen Ausmaß zu bilanzieren. "True and fair view" angesagt. Nicht so im Steuerrecht mit seinen beiden wichtigen Rückstellungsgesetzen.
Pauschalvorsorgen unzulässig
Das steuerliche Rückstellungsgesetz Nummer 1 besagt, dass Pauschalrückstellungen grundsätzlich ausgeschlossen sind. Eine pauschale Garantie-, Produkthaftungs- oder Gewährleistungsvorsorge - mag sie aus der Vergangenheit her auch glaubhaft zu argumentieren sein - ist in der Steuerbilanz unzulässig. Nur Vorsorgen, die im einzelnen individuell untermauert werden können (und ihre wirtschaftliche Verursachung im Bilanzjahr haben) dürfen auch in eine steuerwirksame Rückstellung münden.
Kürzung auf 80%
Das steuerliche Rückstellungsgesetz 2 wurde erst jüngst durch das Budgetbegleitgesetz von 2001 eingeführt. Es gilt erstmals für die Jahresabschlüsse 2001 (bei verschobenen Wirtschaftsjahren für solche, die 2001 enden). Es besagt, dass "V"- und "D"-Rückstellungen, deren Bilanzierungsberechtigung (ab dem Bilanzstichtag 2001) voraussichtlich noch mehr als zwölf Dauer beträgt, in der Steuerbilanz nur mit 80% ihres vorgesehenen Passivwertes bilanziert werden dürfen.
Bei Laufzeit über 12 Monate
Hat man also zum Bilanzstichtag den individuell ermittelten Wert einer Verbindlichkeitsrückstellung (z.B. für eine langfristige Prozessführung) mit 500.000 Schilling *) ermittelt, dann darf der passive Bilanzwert in der Steuerbilanz bloß 400.000 Schilling betragen; in der Handelsbilanz müsste es bei vollen 500.000 Schilling bleiben.
Wäre abzusehen, dass der Prozess noch vor dem Ultimo des Jahres 2002 endet, dann könnte die Kürzung auf 80% unterbleiben und der steuerrechtliche und handelsrechtliche Bilanzansatz wären gleich hoch. Stellt sich hinterher heraus, dass man sich bei der ursprünglichen Laufzeitvermutung doch geirrt hat, dann hat die Fehleinschätzung allerdings dann keine rückwirkenden Änderungsfolgen, wenn man die ursprüngliche Einschätzung glaubhaft untermauern kann.
Gilt auch für Altvorsorgen
Das Rückstellungsgesetz Nummer 2 hat allerdings noch eine Nummer 2a: Diese wirkt auf die Jahresabschlüsse vor dem Jahr 2001 zurück. War etwa schon in der Bilanz zum Ultimo 2000 eine (steuerlich zulässige) Langzeit-Rückstellung passiviert und muss sie auch 2001 noch weiter geführt werden, dann gilt auch für diese Alt-Vorsorge im Jahresabschluss 2001 das 80%- Schwert. Was in der Erfolgsrechnung von 2001 natürlich zu einer Teilauflösung der alten Rückstellung führt und damit zu einem künstlich erzeugten steuerlichen Gewinnposten. Hierzu sieht das Gesetz auf Wunsch jedoch eine Verteilklausel vor: Derlei Auflösungsgewinne können - beginnend 2001 - auf fünf Jahre verteilt aufgelöst werden. Was zwar zu keiner Steuerfreistellung, aber zu einer Verteilung der Nachversteuerung für den Auflösungsgewinn führt.
Sozialkapital ungekürzt
Nicht von der Zwangsverminderung auf 80% betroffen sind die sogenannten Sozialkapitalrückstellungen, also jene für die Abfertigungen der Dienstnehmer, für Pensionen (und deren Anwartschaften) sowie für Dienstnehmer-Jubiläen. Bei diesen Vorsorgen bleibt es bei den im Gesetz vorgesehenen Passivierungsmethoden - und zwar jeweils in der vollen Höhe.
*)Der Autor entschuldigt sich, dass er nach alter (Un-)Gewohnheit noch immer lieber Schilling-Beispiele darstellt.