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Der Abgas-Kompromiss Berlin-Paris: Realismus siegt über Idealismus

Von Wolfgang Tucek

Analysen

Klimaschutz ist ein Kernanliegen der EU, der Schutz der deutschen Autoindustrie ein nationales Interesse Deutschlands: Diese Standpunkte schienen kaum vereinbar. Die überraschende Einigung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy auf Grundzüge einer EU-Regelung zur Abgassenkung der Fahrzeugflotte ist ein realistischer Zugang zur Überbrückung der Gegensätze.


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Denn der Vorschlag der EU-Kommission, den CO2-Ausstoß von Pkw bis 2012 auf durchschnittlich 120 Gramm pro Kilometer zu reduzieren, war in Berlin auf erbitterten Widerstand gestoßen: Da die deutschen Hersteller wie DaimlerChrysler, BMW, Volkswagen und Audi zu einem größeren Teil PS-starke Luxuslimousinen produzieren als ihre französischen und italienischen Kollegen, seien sie auf inakzeptable Weise stärker belastet. Ein von Brüssel vorgeschlagener Ausgleichsmechanismus, der schweren Autos etwas höhere Emissionen als leichten einräumt, sei unzureichend, hatte Deutschland reklamiert. Französische und italienische Hersteller mit ihren von Kleinwagen dominierten Flotten kämen immer noch am besten weg.

Der neue Kompromiss soll nun den Produktzyklen der Fahrzeuge Rechnung tragen; die Grenzwerte sollen nach einer stufenweisen Einführung erst 2015 für alle Autos gelten. Entlastungen soll es für die Motorenentwicklung geben. Diese müsste nur für eine Senkung der Abgase auf 138 Gramm pro Kilometer statt wie bisher vorgesehen 130 Gramm sorgen.

Zehn Gramm Reduktion sollten nämlich durch effizientere Klimaanlagen, Getriebe und Leichtlaufreifen erzielt werden. Weitere acht Gramm dürfen sich die Hersteller nun für Innovationen wie effizientere Lichter oder Solarzellen im Autodach anrechnen. Dieses Paket wurde von den deutschen Autofirmen als Verhandlungserfolg Merkels gefeiert.

Weniger beworben wurde das scheinbare Einlenken Berlins beim Ausgleichsmechanismus. Auch dass bei den Strafzahlungen eine bloß minimale Überschreitung der Abgaslimits zu deutlichen Nachlässen führen soll, kommt den Franzosen zu Gute. Die Hersteller Citroen, Peugeot und Renault liegen mit vielen Modellen schon heute in der Nähe der Grenzwerte und weit unter dem EU-Schnitt von 160 Gramm pro Kilometer. BMW lag zuletzt bei 182 Gramm, Daimler-Chrysler bei 184 und Porsche gar bei 282.

Italien schmollt zwar vorerst, weil es bei den Verhandlungen nicht dabei sein durfte. Die Interessen der italienischen Produzenten scheinen aber gewahrt. Zwar wurden die Kommissionsvorschläge zu Gunsten der Automobilindustrie gelockert, wie Umweltschützer kritisierten. Dabei wurde aber der Umsetzbarkeit von EU-Gesetzen der Vorzug gegenüber einem Idealzustand gegeben. Als Entgegenkommen vereinbarten Merkel und Sarkozy ein langfristiges Ziel von maximal 95 bis 110 Gramm pro Kilometer bis 2020. *