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Der Abgasskandal könnte von vorne beginnen

Von Claus J. Goldenstein

Gastkommentare
Claus J. Goldenstein ist Rechtsanwalt und Inhaber von Goldenstein Rechtsanwälte (www.ra-goldenstein.at). Die Kanzlei vertritt unter anderem mehr als 50.000 Mandanten im Abgasskandal und hat Standorte in Berlin und Innsbruck.
© Miguel Hahn & Jan-Christoph Hartung

Was die jüngsten Urteile gegen VW für die Kunden - und für die gesamte Autoindustrie - bedeuten.


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Was zunächst wie ein schlechter Scherz klingt, ist tatsächlich Realität: Das Software-Update, das die Abgasreinigung von illegal manipulierten VW-Dieselfahrzeugen normalisieren sollte, enthält ebenfalls eine unzulässige Manipulationssoftware. Genau das wurde aktuell am Obersten Gerichtshof (OGH) in Wien und am Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht in Deutschland geurteilt. Kurz nach der ersten höchstrichterlichen Entscheidung in Österreich könnte der Abgasskandal dadurch nun schon wieder von vorne beginnen.

Fast 400.000 Fahrzeuge in Österreich betroffen

Nachdem der VW-Abgasskandal 2015 publik geworden war, entwickelte Volkswagen ein Software-Update, das allein in Österreich auf fast 400.000 Dieselfahrzeugen die vorhandene Manipulationssoftware überschreiben und die betroffenen Pkw-Modelle vor der Stilllegung bewahren sollte. Unabhängige Abgastests ergaben allerdings, dass die upgedateten Autos nach der Software-Aktualisierung teilweise noch mehr Schadstoffe ausstoßen als vorher. Vor allem bei Außentemperaturen unterhalb von 15 Grad emittieren die Dieselfahrzeuge ein Vielfaches der zulässigen Stickoxid-Mengen. Diese Form der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung wird als Thermofenster bezeichnet.

Ein Österreicher ließ das Update deshalb nicht auf seinen manipulierten VW Tiguan aufspielen und machte Gewährleistungsansprüche gegenüber seinem Händler geltend. Die Richter am OGH entschieden nun, dass das Software-Update den vorhandenen Mangel tatsächlich nicht beseitigen konnte. Daher muss der Händler das Fahrzeug nun zurücknehmen und dem Kläger einen Großteil des ursprünglich gezahlten Kaufpreises erstatten.

VW und das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), welches das Update genehmigt hatte, rechtfertigten die Verwendung des Thermofensters mit Gründen des Motorenschutzes. Dieses Argument ließen allerdings einen Tag vor dem OGH-Urteil auch schon die Richter am Verwaltungsgericht im norddeutschen Schleswig nicht gelten. Dort hatte die Naturschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen die Genehmigung der Software-Aktualisierung geklagt.

VW-Software-Update hätte nie genehmigt werden dürfen

Die Verwaltungsrichter entschieden, dass die deutsche Behörde das Update nie hätte genehmigen dürfen. Bei ihrer Rechtsfindung konnten sich die deutschen Juristen genauso wie die OGH-Richter auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem vergangenen Jahr berufen. Die EuGH-Richter erläuterten damals, dass eine Abschalteinrichtung zur Reduzierung der Abgasreinigung nur dann verwendet werden darf, wenn diese ausschließlich in Ausnahmesituationen zum Einsatz kommt, vor unmittelbar auftretenden Motorschäden oder Unfällen schützt und es keine anderen technischen Mittel zur Prävention vor entsprechenden Situationen gibt.

All diese Vorgaben erfüllt das Software-Update von VW allerdings nicht. Das eingebaute Thermofenster sorgt nämlich bereits bei Außentemperaturen unterhalb von 15 Grad - und somit in Österreich fast ganzjährig - für eine reduzierte Abgasreinigung.

Außerdem hat VW auf dem US-Markt bewiesen, dass die tatsächliche Normalisierung der Abgasreinigung der betroffenen Fahrzeuge technisch möglich gewesen wäre. Dort wurden manipulierte Dieselfahrzeuge mit einem Katalysator nachgerüstet. Entsprechende Hardware-Updates kosteten Europas größten Autobauer allerdings etwa 1.000 Euro pro Fahrzeug. Für die Installation des Software-Updates zahlte VW hingegen nur rund 60 Euro pro Update. Diese Entscheidung aus Kostengründen könnte nun zum Bumerang für VW werden.

Schnelles Grundsatzurteil mit Signalwirkung erwartet

Zwar ist das Urteil des Schleswiger Verwaltungsgerichts aktuell noch nicht rechtskräftig. Doch das Gericht hat eine sogenannte Sprungrevision zum obersten deutschen Gericht für öffentliches Recht - dem Bundesverwaltungsgericht - zugelassen. Dadurch ist es möglich, eine Entscheidung in der nächsthöheren Instanz einfach zu überspringen. Wenn Volkswagen und das Kraftfahrt-Bundesamt also gegen das aktuelle Urteil Sprungrevision einlegen, könnten sich die Richter am Bundesverwaltungsgericht direkt mit dem Fall auseinandersetzen. Dadurch wird die Schleswiger Entscheidung vermutlich erst in den kommenden Monaten rechtskräftig, könnte aber auch höchstrichterlich abgesichert werden.

Angesichts des eindeutigen EuGH-Urteils zum Thema Abschalteinrichtung wird die Schleswiger Entscheidung auch vom Bundesverwaltungsgericht mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätigt werden. Dann müsste das KBA europaweit alle Fahrzeuge mit dem Software-Update erneut zurückrufen. Außerdem hätte die Entscheidung auch eine Signalwirkung für zahlreiche ähnlich gelagerte Verfahren, die die DUH gegen das KBA führt. In den kommenden Monaten müssen sich die Schleswiger Richter nämlich mit 118 weiteren Klagen der DUH auseinandersetzen. Dabei geht es neben verschiedener Manipulationssoftware von VW auch um Abschalteinrichtungen von anderen Autobauern wie Mercedes-Benz, Audi oder BMW.

Zehn Millionen Rückrufe und Milliarden Entschädigungen?

Wenn die Richter am Bundesverwaltungsgericht die aktuelle Entscheidung bestätigen, könnte das Schleswiger Verwaltungsgericht auch diese Verfahren rechtssicher auf die gleiche Weise beenden. Möglicherweise würde es vielfach nicht einmal zu Verhandlungen kommen, da sich das KBA vermutlich im Rahmen von außergerichtlichen Einigungen zu einem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge verpflichten würde, um Verfahrenskosten zu sparen. Dadurch könnte es schnell zum Rückruf von bis zu zehn Millionen Dieselfahrzeugen in Europa kommen. Die betroffenen Fahrzeughalter hätten zudem die Möglichkeit, Entschädigungsansprüche in Milliardenhöhe durchsetzen, auch in Österreich.

Während hierzulande aktuell das erste Urteil im Zusammenhang mit Gewährleistungsansprüchen wegen des Abgasskandals gefällt wurde, steht eine solche Entscheidung in Bezug auf Schadensersatzforderungen gegenüber den verantwortlichen Autobauern zwar noch aus. Doch die OGH-Richter haben dazu aktuell bekanntgegeben, dass sie hierfür nur noch ein Urteil des EuGH abwarten, das am 21. März verkündet werden soll.

Schadenersatzklagewelle bahnt sich an

Konkret werden Europas oberste Zivilrichter an diesem Tag unter anderem entscheiden, ob Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Abgasskandal auch bei einer fahrlässigen Schädigung durch den jeweiligen Fahrzeug- beziehungsweise Motorenhersteller bestehen. Sollten die EuGH-Richter diese Frage bejahen, wäre der Weg frei für erfolgsversprechende Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit dem sogenannten Thermofenster.

Es ist davon auszugehen, dass sich die EuGH-Richter diesbezüglich konsumentenfreundlich positionieren und die Durchsetzung von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal enorm vereinfachen werden. Wenn es dann noch zu zahlreichen Rückrufen aufgrund der DUH-Klagen kommt, wird wohl abermals eine regelrechte Klagewelle auf die gesamte Autoindustrie zurollen. Das klingt vielleicht für die Vorstände der Autokonzerne ebenfalls wie ein schlechter Scherz, ist dann aber Realität.