Washington - Ohne großen Aufhebens ist der ABM-Vertrag am Donnerstag endgültig beerdigt worden, nachdem er 30 Jahre lang dem Rüstungswettlauf zwischen Washington und Moskau Einhalt geboten hatte.
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Am 13. Dezember hatte US-Präsident George W. Bush den einseitigen Ausstieg aus dem Verbot von Raketenabwehrsystemen angekündigt, um sein Projekt eines Abfangsystems vorantreiben zu können.
Bushs Rüstungsstrategen konnten den Ablauf der sechsmonatigen Kündigungsfrist kaum erwarten: Bereits am Samstag wollen sie mit dem Bau von Raketenbunkern in Alaska beginnen. Die ABM-Vereinbarungen hatten dies bisher verhindert.
Angesichts der Entschlossenheit der US-Administration sind die internationalen Proteste gegen das sang- und klanglose Ende von ABM inzwischen weitgehend abgeebbt. Widerstand regt sich nur noch im US-Kongress.
Bush sieht in dem Raketenschild (MD) in erster Linie einen Schutz seines Landes vor Angriffen durch einzelne Terroristen oder "Schurkenstaaten" wie den Irak, den Iran und Nordkorea. Nach dem 11. September wurde er nicht müde, immer wieder das Szenario eines Terror-Anschlags mit Hilfe von Langstreckenraketen zu entwerfen. Die Einwürfe der Kritiker, dass MD weder Anschläge wie die vom 11. September noch den Einsatz "schmutziger Bomben" verhindern könnte, ignoriert er. Als erster Schritt seiner neuen Sicherheitsdoktrin sollen bis 2004 insgesamt sechs Silos für Abfangraketen in Alaska entstehen. Im Gegensatz zum Ende von ABM wird der erste Spatenstich am Samstag in Fort Greely groß gefeiert.
Die US-Regierung unternahm in den vergangenen Monaten alles, um ABM als überholtes Relikt des Kalten Krieges abzutun. Dagegen wurden die Einwände, der Vertrag sei nach wie vor ein wichtiges Instrument der Rüstungskontrolle, immer leiser. Selbst Russland fügte sich. Die Duma-Abgeordneten nahmen das Ende des Vertrags am Donnerstag fast schulterzuckend zur Kenntnis. Außenminister Igor Iwanow kommentierte lapidar, Ziel sei es nun, die "negativen Konsequenzen klein zu halten".
Künftig sind die USA in der Lage, jede Art von Tests zur Raketenabwehr auszuführen. Vier von sieben bisherigen Abfangversuchen innerhalb der Vorgaben des ABM-Vertrags verliefen erfolgreich, weitere sind geplant. Über die Details und Kosten der geplanten Versuche darf sich die zuständige Pentagon-Behörde mit ausdrücklicher Genehmigung von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ausschweigen - zum Ärger der Gegner im Kongress, die sich einmal mehr von der Regierung hintergangen fühlen. Das Verteidigungsministerium habe mit seiner Entscheidung bewusst die Gefahr in Kauf genommen, dass "Kongress und Öffentlichkeit über die Fortschritte von MD im Dunkeln gehalten werden", schrieb der Experte Philip Coyle, ein hoher Pentagon-Beamter unter Bushs Vorgänger Bill Clinton, diese Woche in der "Washington Post".
Die Kritiker im Kongress sind nicht bereit, die Schaffung vollendeter Tatsachen widerspruchslos hinzunehmen. Mit einer Klage vor dem Bundesgericht im District of Columbia wollen sie erreichen, dass der einseitige Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag wieder rückgängig gemacht wird. Nach ihrer Ansicht darf nur der Kongress internationale Verträge kündigen, Bushs Alleingang wäre somit verfassungswidrig. Nach Einschätzung des Pentagon wäre ein Richter durchaus in der Lage, den Baubeginn der Raketen-Silos mit einer einstweiligen Verfügung in letzter Minute zu stoppen. Doch noch steht nicht einmal ein Termin für das Verfahren fest. AFP