Wie werden Menschen, die Verzicht nicht gewohnt sind, reagieren, wenn es notwendig wird, zu reduzieren und im Weniger sein Heil zu finden?
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Die Emotion ist ein wesentlicher Rohstoff geworden, nicht nur im Sport, sondern auch im immer unübersichtlicheren Alltag. Die Generation "Man müsste einmal" wird nicht mehr nur verbal daran erinnert, dass die "gute alte Zeit" der Sicherheiten vorbei ist. Sie bekommt es auch zu spüren.
Dass man im Fanblock beim Fußball mit Emotion vollgepumpt ist, ist logisch und gut so - davon lebt das Dasein als Fan. Dass diese nach Schlusspfiff langsam dem Alltagstrott weicht, ist auch gut. Mittlerweile sind die Ultras aber nicht mehr nur beim Fußball anzutreffen, sondern mitten in der Gesellschaft. Voll aufgeladen mit Emotion und jederzeit bereit, das Fass zum Überlaufen zu bringen. Da verlässt niemand mehr den Fanblock und kommt runter.
Auslöser ist die Hilflosigkeit gegenüber Dingen, die man auch Polykrisen nennen kann. Die Abstände der Zäsuren werden immer kürzer, die Luft im Mittelstand und ganz oben wird immer dünner. Am härtesten werden wieder die untersten Gesellschaftsschichten getroffen, die jede Preissteigerung massiv spüren. Doch von denen geht eher nicht die Gefahr aus, dass sie komplett austicken. Da sie ständige Entbehrungen gewöhnt sind, sind sie härter im Nehmen. Viel eher merkt nun auch der Mittelstand und aufwärts, dass es nicht immer nur hinauf geht.
Der Lebensweg kann wie eine Leiter gesehen werden, deren Stufen man Schritt für Schritt erklimmt. Manchmal bricht eine Sprosse ein, manchmal pausiert man auf einer und manchmal steigt man wieder runter, weil es oben gar nicht so schön war. Doch das wäre der Idealzustand des Reflektierens. Viel zu oft haben wir uns selbst Abhängigkeiten geschaffen, die es uns nicht erlauben, tiefer zu steigen - man muss so weitermachen wie bisher, da man sonst etwa die Leasing-Raten nicht zahlen kann. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn zumindest ein hoher Grad an Zufriedenheit mit dem vielen Konsum von Verbrauchsgegenständen und diversen Statussymbolen einherginge. Ein finanzieller und psychischer Teufelskreis, der zu Frust und Ohnmacht führen kann. Die große Frage künftig wird sein, wie Menschen, die Verzicht nicht gewohnt sind, reagieren werden, wenn es notwendig wird, zu reduzieren und im Weniger sein Heil zu finden.
Im Regelfall werden Menschen zornig, wie kleine Kinder, denen man in der Sandkiste die Schaufel wegnimmt. Wenn das in den kommenden Jahren für eine Mehrheit Schule macht, wird das Pulverfass, auf dem wir alle sitzen, explodieren. Feindbilder werden wieder aufgebaut, und viele werden sich selbst als Opfer sehen, weil der andere sowieso immer mehr hat und man selbst das auch haben will - nicht, weil man es braucht, sondern weil der andere es hat. Sich mit sich selbst zu beschäftigen und zu hinterfragen, was einen tatsächlich zufrieden macht, ist dann doch zu aufwendig und vielleicht auch zu unangenehm. Wer schaut sich schon gerne in den Spiegel, wenn das Bild nicht 100-prozentig passt?
Subventionierung wird enden
Die Subventionierung nach dem Motto "Koste es, was es wolle" wird nach der nächsten Nationalratswahl enden. Die nächsten Krisen werden nicht lange auf sich warten lassen. Die Aufgaben, die an den Staat gestellt werden, werden nicht weniger werden. Der Kuchen bleibt aber gleich groß, während immer mehr Mäuler gestopft werden müssen. Bei einem Wirtschaftswachstum von 1 bis 3 Prozent in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten ist das eine mittelprächtige Vorausschau.
Die Behandlung psychischer Probleme ohne Reflexion, woher sie kommen - der Lockdown ist sicher nicht die Ursache, die sitzt tiefer -, wird wieder nur Symptombekämpfung bleiben. Das Thema Einsamkeit ist ebenso vielschichtig. Nach der nicht ganz praxisrelevanten Ausbildung in der Schule wird man in die Selbständigkeit entlassen, und ab 60 bis 65 Jahren darf man aufs staatlich verordnete Nichtstun in der Pension hoffen. Da gäbe es sicher Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen, die eben nicht nichts tun wollen, auch wenn manche Politiker in der Arbeit an sich eine biblische Plage vermuten und nur noch die Freizeit toll finden.
Der Mensch braucht eine Aufgabe, um gebraucht zu werden, um nicht gesellschaftlich, aber auch geistig zu verarmen. Dazu benötigt man Beschäftigung und die Möglichkeit des Reflektierens darüber, was man eigentlich will und was nicht. Denn der Abstieg wird wahrscheinlich für uns alle kommen - Entbehrungen werden kommen, vielleicht aber auch Chancen bringen. Das als Politik zu vermitteln und den Menschen nicht immer einzureden, es werde so weitergehen wie bisher, und wenn nicht, dann werde man Förderungen ausschütten, ist sehr gefährlich. Der Volkszorn, wie es so schön heißt, kocht sonst über.
Wir leben in einem der besten Staaten der Erde, bei aller Kritik am Staat funktioniert dieser, wir haben de facto einen Jackpot, dass wir hier aufgewachsen sind. Dennoch hängen vielen die Mundwinkel zu weit nach unten. Diese Feststellung ist natürlich sehr subjektiv und argumentativ nicht fundiert. Mit Blick auf die kürzeren Abstände, in denen Krisen auf uns eintreffen werden, sollte man jedenfalls rechtzeitig den Volkszorn erkennen und möglichst kanalisieren.
Die Politik des "mehr Geld ist überall automatisch besser", wie sie bei Bildung, psychischer Gesundheit und anderem propagiert wird, geht sich finanziell sowieso nicht mehr aus. Die Politik muss Leuchtturmprojekte forcieren, in die nicht einfach nur mehr Geld gesteckt wird (das wir eh nicht haben, sondern nur auf Pump bekommen), sondern die auch langfristig zu Erfolg führen. Die To-do-Liste wird immer länger, die Kassen werden immer leerer. Es ist Zeit für ernsthafte Diskurse zwischen den relevanten Gruppen und dem Volk anstelle billiger Wahlversprechen von oben herab aus dem vorigen Jahrhundert.