Der lange Schatten des Mueller-Reports hat den US-Präsidenten so sehr in Bedrängnis gebracht, dass er jetzt zum letzten verbleibenden Rechtsmittel greift. Die Demokraten sehen daher keinen Anlass, den Druck aufs Weiße Haus zu mindern.
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Washington D.C. Anfang der Woche war es nur eine Drohung gewesen, aber jetzt hat Donald Trump tatsächlich ernst gemacht: Zum ersten Mal in seiner Amtszeit bemühte der Präsident der Vereinigten Staaten sein Vorrecht, Informationen per Dekret unter Verschluss zu halten. Wiewohl nicht explizit wörtlich in der US-Verfassung verankert, gilt die Anrufung von "Executive Privilege" traditionell als letztes Mittel einer Administration, um zu verhindern, dass Informationen an den Kongress, die Gerichte und die Öffentlichkeit geraten, die entweder die nationale Sicherheit oder jenen Anspruch auf Verschwiegenheit gefährden, der bestimmte Entscheidungen des Weißen Hauses angeht.
Vor allem was letzteren Teil angeht, ist der Ermessensspielraum rein informell nicht besonders groß - was die Trump-Administration, mittlerweile geübt in der Brechung jeglicher bis zu ihrem Amtsantritt bestehender innen- und außenpolitischer Normen, kaum anficht.
Den Stein des Anstoßes bildet der vor rund drei Wochen von Justizminister William Barr öffentlich gemachte, von zahlreichen geschwärzten Passagen gekennzeichnete Endbericht der von Sonderermittler Robert Mueller geleiteten Untersuchungskommission. Sie war nach der Entlassung von FBI-Chef James Comey im Mai 2017 eingesetzt worden. Seit Barr im Rahmen seiner Präsentation des rund 400 Seiten starken Berichts - die erfolgte, noch bevor die Öffentlichkeit den Inhalt kannte - dem Weißen Haus nicht nur einen Blankscheck erteilt, sondern gar die Diktion des Präsidenten übernommen hatte ("Keine Kollusion mit Russland, keine Behinderung der Justiz"), laufen die Demokraten, seit den Midterms 2018 mit einer Mehrheit im Abgeordnetenhaus ausgestattet, Sturm.
Unter der Führung des New Yorkers Jerry Nadler, dem 71-jährigen Vorsitzenden des Justizausschusses im Unterhaus, bestehen sie darauf, dass sie Zugang zu dem gesamten Bericht ohne Schwärzungen erhalten. Aus Sicht des Weißen Hauses ein Ding der Unmöglichkeit und aus der von Donald Trump persönlich nicht weniger als eine Unverschämtheit: "Die Demokraten wollen alles und sie werden nie genug bekommen, egal, wieviel wir ihnen geben", polterte er.
Als Reaktion auf die Anrufung des Executive Privilege durch den Präsidenten zündeten die Demokraten am Mittwoch die nächste Eskalationsstufe. Im Abgeordnetenhaus stimmte eine Mehrheit von ihnen dafür, Justizminister Barr wegen Missachtung des Kongresses beim Staatsanwalt anzuzeigen. Die Gründe für diesen drastischen Schritt sind nicht nur rein politisch nachvollziehbar. Barr hatte sich nach nur einem Tag - an dem er sich sichtlich schwer tat, seine Vorgangsweise zu rechtfertigen - geweigert, den Volksvertretern weiter Rede und Antwort zu stehen. (Unter anderem gab er zu, dass seine Entscheidung, den Präsidenten nicht wegen Justizbehinderung anzuklagen, bereits feststand, noch bevor er die Details des Berichts kannte; zudem hatte er den persönlichen Anwälten Trumps Zugang dazu verschafft, noch bevor er die Öffentlichkeit informierte).
Demokraten orten "Verfassungskrise"
Eine Strafandrohung wegen Missachtung des Kongresses ist ein schwerwiegender Vorwurf mit potentiell weitreichenden Folgen, die im Extremfall bis zu einer Gefängnisstrafe führen kann. Jerry Nadler rechtfertigte die harte Strategie seiner Partei mit dem Ausmaß dessen, was nach seiner Interpretation der Dinge auf dem Spiel steht: "Wir befinden uns in einer konstitutionellen Krise. Der Präsident reißt unsere Verfassung ein und der Justizminister hilft ihm dabei." Auch eine geplante Vorladung von Robert Mueller höchstselbst vor den Justizausschuss des Unterhauses sei nunmehr gefährdet.
Das Weiße Haus reagiert auf die Vorwürfe indes nach bewährtem Muster. Wie immer setzen Trump und seine Berater darauf, dass ein Großteil der Öffentlichkeit die rechtlichen Implikationen selbst von schwerst wiegenden Entscheidungen wie jener des Einsatzes von Executive Privilege nicht ernst nimmt und die Proteste der Opposition als rein politisch motiviertes Spektakel abtut.
40 Prozent der Amerikaner unbeeindruckt
Zumindest was die eigene Anhängerschaft angeht, die allen seriösen Umfragen zufolge stabil um die 40-Prozent-Marke liegt und seit dem Tag des Amtsantritts des 71-jährigen Ex-Reality-TV-Stars offenbar durch nichts, aber auch gar nichts zu erschüttern ist, dürften sie damit durchkommen.
Was Trump im Gegensatz zum Treiben im Kongress ernst nimmt, lässt sich derweil wie immer verlässlich an jenen Themen ablesen, denen er in seinem Twitter-Feed Platz einräumt. Auf einen Bericht der New York Times, die in den Besitz seiner Steuerakten aus den Achtzigern und frühen Neunzigern gekommen ist und in dem seine mehr als fragwürdigen Geschäftspraktiken ausgebreitet werden - laut der Zeitung machte Trump in jenen Jahren Verluste in einstelliger Milliardenhöhe, was dazu führte, dass ihm keine einzige einheimische Bank mehr Geld lieh und er nur mit Hilfe der Deutschen Bank vor dem Bankrott bewahrt wurde - reagierte er so postwendend wie fragwürdig. "Eine Fake-News-Attacke" stelle der Artikel dar; moralisch wie steuerrechtlich objektiv fragwürdige Praktiken wie die seinen seien damals angeblich "üblich gewesen. Es war ein Sport."