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"Der American Dream ist kein Versprechen"

Von Eva Stanzl

Wirtschaft
Kesberg: "Positive Grundstimmung". Foto: Hetzmannseder

US-Ökonomen: Es ist zu früh für Wachstumseuphorie. | Handelsdelegierter Kesberg: Skepsis "aus Angst, sich noch einmal zu irren". | Wien/New York. Das Jahr nach dem schärfsten Konjunktureinbruch der Nachkriegszeit verheißt Gutes: 2010 wird wohl den meisten Ländern wieder Wachstum bringen. Jedoch zeichnen sich viele Risiken ab: Denn bis zum Sommer wird die Wirtschaft vor allem von den staatlichen Konjunkturpaketen getragen. Erst dann wird sich zeigen, ob sich ein nachhaltiger, selbsttragender Aufschwung bildet.


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Nach wie vor schaut dabei alles auf die USA: Wie wird sich die Konjunkturlokomotive der Welt entwickeln? "Woher die Nachhaltigkeit kommen kann, ist schwer festzumachen, die Erholung ist sehr fragil", betont Christian Kesberg, Österreichs Außenhandelsdelegierter in New York, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz geht noch weiter: Ein robustes Wachstum sei in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, hatte er beim Jahrestreffen der American Economic Association gewarnt. Diese prognostiziert, dass das US-Wachstum 2009 bis 2019 mit rund 1,9 Prozent jährlich jenes des vorigen Jahrzehnts nicht überschreiten wird. Unterqualifizierte Arbeiter und die steigende Sparfreudigkeit der Amerikaner gelten als Konjunkturbremsen für die größte Volkswirtschaft, die zu 70 Prozent vom Konsum abhängt. Die Ökonomen warnen zudem, dass eine neue Krise ins Haus stehen könnte, wenn die Finanzwelt weitermacht wie bisher. Sie empfehlen dringend eine stärkere Regulierung des US-Finanzmarktes. Eine Lösung ist schon in Sichtweite: Der Senat könnte sich bald auf eine Reform einigen. Dabei soll der Notenbank Fed die Bankenaufsicht entzogen werden, hieß es am Mittwoch aus informierten Kreisen.

Regulierungsdebatte als Sinnkrise im System

"Natürlich stellt sich die Frage, ob unser System tragbar ist", räumt Kesberg ein. "Die Wirtschaftskrise ist seit dem dritten Quartal 2009 vorüber. Die Prognosen werden hinaufrevidiert, und immerhin rechnet man wieder fix mit Wachstum. Aber die Sinnkrise hält an." Andere Experten befürchten nämlich, dass die USA gerade dann untergehen, wenn das System verändert und die Finanzlandschaft stärker reguliert wird.

Nach Ansicht des Handelsdelegierten beruhen die Unkenrufe aber nicht nur auf sachlichen Grundlagen. Die Wirtschaftsforscher wollten sich schlicht nicht noch einmal irren. "Die Ökonomen sind kompromittiert, weil sie 2008 die Tragweite der Finanzkrise nicht erkannt haben. Sie haben Angst, sich womöglich noch einmal zu blamieren, wenn sie zu früh an einen Aufschwung glauben", sagt er.

Ein nachhaltiger Aufschwung sei möglich, wenn sich die Amerikaner auf ihre traditionellen Stärken besinnten. Kesberg verweist hierfür auf den riesigen Binnenmarkt in dem ethnisch diversifizierten Land, das seit 250 Jahren wirtschaftliche und politische Stabilität genieße und seit 100 Jahren Wirtschaftswachstum verzeichne. "Man traut diesem Land viel zu. Ich bin immer wieder erstaunt, wie die positive Grundstimmung selbst in sehr schwierigen Zeiten schnell zu einer Erholung beiträgt", berichtet er.

Für Europäer klingt das wie ein Manual zum Thema "Ärmel hochkrempeln" oder "Selbst ist der Mann". Denn die Amerikaner verarmen: Rund 30 Millionen US-Bürger bekommen staatliche Lebensmittelhilfe aufgrund der Krise. Kesberg: "In den USA ist das akzeptiert: Der American Dream ist ein Traum, aber kein Versprechen. Und das ist vielen sogar lieber, als dass ihnen der Staat Geld aus der Tasche zieht."

Hausbesitzer nach wie vor in Zahlungsnöten

Ein Hoffnungsschimmer kommt aus der Industrie, die sich zu Jahresende stärker erholt hat als erwartet. Die Industriebetriebe zogen im Dezember mehr Aufträge an Land als im November und stellten unterm Strich wieder Mitarbeiter ein, zeigt eine Umfrage das Institute for Supply Management.

Der US-Immobilienmarkt sendet hingegen noch keine positiven Signale aus: Die Bauausgaben sanken im November auf das tiefste Niveau seit sechs Jahren. Die US-Notenbank Fed warnt vor Risiken bei Gewerbeimmobilien; viele Büros und Fabriken stünden leer. Und auf dem privaten Immobilienmarkt seien trotz staatlicher Hilfen viele Hausbesitzer in Zahlungsnöten und täten sich mit der Umschuldung schwer.

Auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt werde sich 2010 nicht erholen: "Selbst wenn die Arbeitslosenquote im Jahresverlauf sinkt, wird sie gemessen an der Historie auf einem hohen Niveau verharren", sagt Fed-Gouverneurin Elisabeth Duke. Laut Vorabschätzungen betrug die Arbeitslosenquote im Dezember bereits 10,1 Prozent. Der Stellenabbau hat sich vergangenes Monat jedenfalls verlangsamt: Laut der Arbeitsagentur ADP sank die Zahl der Jobs in der Privatwirtschaft um 84.000. Im November waren es noch 145.000.