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Der Anarchist unter den Medien

Von Petra Rathmanner

Wirtschaft

Neue Wege für Buchhandlungen. | Ausgewogene Situation im Bucheinzelhandel. | Wien. "Hier sind die großen Krambuden der Literatur", beschrieb Johann Wolfgang von Goethe das Prinzip Buchhandlung um 1800, "wo jeder Einzelne sein Bedürfnis nach dem Alphabet abholen kann!"


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Definition und Definiertes geraten indes seit einigen Jahren zunehmend ins Wanken: Dem Grätzel-Buchhändler ist in Form der Filialen von Großhandelsketten Konkurrenz in marktverdrängendem Ausmaß erwachsen; die Grossisten bieten auf mehreren Etagen enorme Buchmengen, ganz zu schweigen vom Rund-um-die-Uhr-Service der Online-Verkäufer. In Deutschland (für Österreich gibt es noch keine Vergleichszahlen) wurden laut Börsebericht des Buchhandels im Vorjahr bereits 11 Prozent aller Buchkäufe online abgewickelt.

"Unsere größte Chance liegt in der persönlichen Beratung, im Gespräch mit dem Kunden", meint Rotraut Schöberl, Inhaberin der "Leporello"-Buchhandlungen, gegenüber der "Wiener Zeitung". "Was uns von den großen Filialen unterscheidet, ist unsere Persönlichkeit, das sorgfältig ausgewählte Sortiment." Gute Buchhandlung seien Treffpunkte für Gleichgesinnte: "Wir haben etwa einige Lesekreise initiiert", so Schöberl. Neue Wege im Verkauf hat auch das Lokal "phil" in der Gumpendorfer Straße beschritten: Neben ausgewählten Büchern werden auch Möbel und CDs angeboten, der Verkaufsraum dient zugleich als Café und Veranstaltungsort.

Der heimische Buchmarkt erweist sich nach wie vor als weitgehend stabiler Wirtschaftsfaktor. Im Jahr 2007 gaben die österreichischen Haushalte mehr als 460 Millionen Euro für Bücher aus.

Das häufig zitierte Buchhändlersterben lässt sich zumindest zahlenmäßig nicht belegen: Die Statistik Austria wies für 2007 österreichweit 1218 Buchhandlungen aus; im Jahr 2000 waren es 1120 Standorte. Gewisse Marktkonzentrationstendenzen sind konstant vorhanden, bei einem Umsatzanteil der Großfilialen von 36,4 Prozent im Jahr 2007 (2006: 37 Prozent) präsentiert sich die Situation im Bucheinzelhandel aber ausgewogener als in anderen Einzelhandelsbranchen.

Gegenbeispiel Amerika

Den Grund dafür ortet Inge Kralupper, Geschäftsführerin des Hauptverbands des österreichischen Buchhandels, in der Buchpreisbindung, durch die klein- und mittelständische Buchhandlungen die Ware zum selben Preis wie Großbuchhandlungen anbieten können (siehe Interview); ein jüngst publik gemachtes Urteil des Europäischen Gerichtshofes garantiert den Fortbestand der heimischen Buchpreisbindung (siehe Hintergrund).

Gegenbeispiel Amerika: In den USA können Handelsketten Bestseller zu Spottpreisen anbieten, was dazu führt, dass bereits jedes zweite Buch im Supermarkt gekauft wird; der stationäre Einzelhandel erwirtschaftet dagegen nur mehr 18 Prozent des US-Buch-Umsatzes.

Hierzulande scheint das Buch, auch dank eines regulierten Buchmarktes, so etwas wie der Anarchist unter den Massenmedien zu sein, der allen Neuerungen zum Trotz dem Goetheschen Diktum der "Krambuden" treu bleibt.