Attentäter wurde nur durch Zufall erwischt. | Bis heute Zweifel an Einzeltäterversion.
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Wien. Es war am 3. Dezember 1993, als um 12.45 Uhr die Eilmeldung über die APA kam: "Im ORF-Gebäude am Küniglberg in Wien-Hietzing ist heute, Freitag, eine Briefbombe explodiert. Laut ORF wurde dabei eine Mitarbeiterin der Minderheitenredaktion schwer verletzt. Die Briefbombe explodierte nach Unternehmensangaben gegen 12.00 Uhr. Moderatorin Silvana Meixner (35) wurde beim Öffnen des Briefes ein Finger abgerissen." Tatsächlich war es schon die zweite Briefbombe, die an diesem Tag hochgegangen war. Die erste hatte knapp eine Stunde zuvor den Hartberger Pfarrer und Flüchtlingshelfer August Janisch verletzt.
Das war der Beginn einer Terrorwelle, die Österreich vier Jahre lang in ihrem Bann gefangen halten sollte. Erst im Oktober 1997 - nach vier Toten und 15 Verletzten - wurde Franz Fuchs gefasst. Doch auch heute, 20 Jahre nach Beginn des Bombenterrors, sind noch immer viele Fragen offen - ein Erfolg für Fuchs, denn wie er in einer Einvernahme erklärte: "Es soll ein gewisser Mythos zurückbleiben."
Das Klima bedingt die Tat
Es ist unklar, was Fuchs werden ließ, was er war: Ein eigenbrötlerischer Rassist, der in Bekennerbriefen mit erstaunlichem historischen Wissen von antiken Markomannen und mittelalterlichen Fürsten schwärmte, sich als Teil einer dubiosen Bajuwarischen Befreiungsarmee bezeichnete und mit Brief- und Rohrbomben den Tod von Menschen in Kauf nahm, die er für verantwortlich hielt für eine vermeintliche Überfremdung Österreichs.
Für Historiker und Politikwissenschafter sind die Anschläge rückblickend kein Zufall. Der Zeitgeschichtler Gerhard Botz sagt: "Die Tat hat in gewisser Weise das Klima in Österreich widergespiegelt." Politologe Anton Pelinka spricht von einer seinerzeitigen "Radikalisierung des innenpolitisch aufgeheizten Klimas". Tatsächlich brachte die FPÖ 1993 mit dem Ausländervolksbegehren eine nie gekannte Migrationsdebatte in Gang. Die Zündkraft des Themas war allerdings auch den Akteuren damals bewusst.
Im Nationalrat lief gerade die Budgetdebatte, als die Nachricht von den ersten Briefbomben eintraf. FPÖ-Chef Jörg Haider gab in seiner Rede sein Bedauern über die Verletzten zum Ausdruck, woraufhin der SPÖ-Abgeordnete Günter Dietrich in Richtung FPÖ rief: "Wer hat denn zur radikalen Tendenz beigetragen, als Ihr Parteiobmann?" Die Folge war ein wildes Geschrei im Hohen Haus, samt angedrohten Ohrfeigen.
Während sich die Politiker im Parlament beflegelten, versank das Land in tiefer Bestürzung. Zwar hatte es schon zuvor terroristische Anschläge in Österreich gegeben, etwa die Geiselnahme in der Opec 1975 oder das Blutbad vor der Wiener Synagoge 1981. "Diese wurden aber als etwas gesehen, das von außen kommt", sagt der Historiker Oliver Rathkolb. Die Briefbomben kamen von innen.
Neonazis als Täter?
Die Ermittlungen konzentrierten sich von Anfang an auf das rechtsextreme Milieu. Mit Peter Binder und Franz Radl werden zwei amtsbekannte Neonazis verhaftet. Zu Unrecht, wie sich zeigen sollte. In einem Bekennerschreiben von Fuchs alias Bajuwarische Befreiungsarmee (BBA) heißt es: "Wir vermuten, dass die inhaftierten Verdächtigen Binder und Radl nicht einmal von der Existenz einer BBA wissen." Fuchs machte sich zu allem Überfluss also auch noch über die Ermittler lustig.
Im Februar 1995 kamen bei Fuchs’ schlimmstem Anschlag vier Roma ums Leben. Nach einem anonymen Hinweis wird ein halbes Jahr später auch Alois Euler befragt. Der frühere Pressereferent von Innenminister Franz Soronics (ÖVP) war 1969 wegen Spionage verurteilt worden. In seiner Haft - unter anderem war der Südtirolaktivist Peter Kienesberger sein Zellengenosse - entwickelte er eine ausgereifte Abneigung gegen den Staat. Und er besaß eine Olympia-Schreibmaschine. Auf einer solchen war ein Bekennerbrief geschrieben worden.
Die Vernehmung am 1. August 1995 verlief ergebnislos. Allerdings erklärte zwei Jahre später eine Zeugin, dass sie Euler und Fuchs zusammen gesehen habe - mit ein Grund, warum die offizielle Einzeltäterversion von vielen bis heute angezweifelt wird. Zuletzt etwa 2009 durch eine "Falter"-Geschichte, in der ein 1973 verurteilter Frauenmörder als möglicher Täter genannt wird.
Fuchs gerät in Panik
Gestützt wird die Einzeltäterthese hingegen vom Gerichtspsychiater Reinhard Haller, der sagt: "Fuchs war nie gruppenfähig." Auch Thomas Müller, damals gerade frisch vom FBI als Profiler ausgebildet, glaubt an einen Einzeltäter. Sein Täterprofil ging von einem peniblen, alleinstehenden Pensionisten über 50 mit erwachsenen Kindern aus. Tatsächlich hatte Fuchs keine Kinder, war erst Mitte 40 und lebte nicht alleine, sondern bei seinen Eltern. Trotzdem trug Müller maßgeblich dazu bei, dass Fuchs gefasst werden konnte.
So schreibt die Journalistin Doris Piringer: "Müller entwickelte eine 'Stress-Strategie', um den (...) Bombenbauer zu irritieren und zu Fehlern zu verleiten. Über Medien wurde getrommelt, dass bereits zehn Verdächtige eingekreist seien und dass mit 1. Oktober die Rasterfahndung zum Täter führen werde."
Tatsächlich wurde Fuchs dadurch dermaßen nervös, dass er bei einer eher zufälligen Polizeikontrolle in Panik eine Rohrbombe zündete und davonlief. Er kam allerdings nicht weit. Die Bombe hatte ihm die Hände zerfetzt und der Blutverlust hatte ihn zu sehr geschwächt. Seine Hoffnung, dass ihm die Polizei auf der Flucht in den Rücken schießen würde, erfüllte sich nicht.
Ab 2. Februar 1999 stand Fuchs in Graz vor Gericht - allerdings nur kurz. Aufgrund von rassistischen Schreitiraden ("Ausländerblut, Nein Danke!") wurde er von seinem eigenen Prozess ausgeschlossen. Er hatte kein Interesse, sich mit seinen Opfern auseinanderzusetzen.
Seine lebenslange Freiheitsstrafe dauerte kein Jahr. Am 26.Februar 2000 erhängte sich Franz Fuchs in seiner Zelle mit dem Kabel seines Rasierapparats. Zurück blieben traumatisierte Opfer, offene Fragen - und "ein gewisser Mythos".