Paris - Dem NS-Kriegsverbrecher Alois Brunner wird ab heute, Freitag, in Paris der Prozess gemacht. Die Anklagebank im Schwurgerichtssaal des Justizpalastes aber bleibt leer. Jahrzehntelang hielt sich Brunner in Syrien auf. Unklar ist, ob er überhaupt noch lebt. Er wäre heute 88 Jahre alt. Der Anwalt Serge Klarsfeld, sagt, er halte es für wahrscheinlich, dass der Verantwortliche für die Deportation von mehr als 120.000 Juden im Zweiten Weltkrieg noch am Leben sei.
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Klarsfeld, dessen Vater von Brunner in den Tod geschickt wurde, hat das Verfahren gegen den gebürtigen Österreicher angestrengt, den Adolf Eichmann als einen seiner besten Männer pries. In halb Europa wütete Brunner, der fanatische Judenhasser radierte die jüdischen Gemeinden in Wien und Saloniki aus. Bis zum August 1944 leitete er ein Durchgangslager in Drancy bei Paris, von wo aus laut Anklageschrift 23.885 Menschen in die Gaskammern von Auschwitz und nach Bergen-Belsen deportiert wurden. Bis gegen Kriegsende war er in der slowakischen Hauptstadt Bratislava tätig.
Zwei Mal wurde Brunner in den 50er Jahren von französischen Militärgerichten in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die Strafen seien inzwischen verjährt, sagt Klarsfeld. Er will die Verbrechen noch einmal aktenkundig machen, an die Opfer erinnern. So reichte er Klage ein wegen einer Tat, die bei den vorangegangenen Prozessen gegen Brunner noch nicht verhandelt worden war.
Dabei geht es um die Zeit, als Ende Juli 1944 die Alliierten auf Paris vorrückten. Der Krieg ist für die Deutschen verloren. Doch Brunner nutzt die knapp werdende Zeit bis zuletzt. Er organisiert Großrazzien, in denen jüdische Kinder aus Heimen zusammengetrieben und nach Drancy gebracht werden. Am Morgen des 31. Juli schickt er 345 Kinder und Jugendliche mit dem Transport Nummer 77 nach Auschwitz und Bergen-Belsen. 284 der Kinder von Drancy werden getötet, darunter der zwei Wochen alte Säugling Alain Blumberg.
"Es verschafft mir Genugtuung, dass die Namen dieser Kinder noch einmal feierlich in einem französischen Gerichtssaal verlesen werden", sagt Klarsfeld, der am Freitag zum letzten Mal als Anwalt in einem Prozess auftritt. Mit dem Verfahren ist für ihn die juristische Aufarbeitung der Nazi-Zeit abgeschlossen. Der Prozess sei ein Symbol, habe eine moralische Dimension, wenn der Angeklagte auch nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden könne.
Ganz unbehelligt lebte der Altnazi, der den Historikern zufolge im Gegensatz zu Eichmann kein Schreibtischtäter war und selbst mordete und folterte, trotz politischer Protektion in Syrien nicht. Zwei Briefbomben, Absender möglicherweise der israelische Geheimdienst Mossad, kosteten ihn vier Finger der linken Hand und ein Auge, wie Bilder belegen, die 1985 in der Illustrierten "Bunten" erschienen.
In mehreren Interviews ließ Brunner keine Spur von Reue oder Bedauern erkennen, drückte vielmehr seinen Stolz darüber aus, das jüdische "Dreckzeug" beseitigt und Wien "judenfrei" gemacht zu haben.