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Der Anteil der stationären Pflege wird enorm überschätzt

Von Martina Madner

Politik

Was die Personalsituation anbelangt, schätzt die Bevölkerung diese laut Gallup-Umfrage aber richtig ein - laut Wifo zunehmend prekärer.


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Satte drei Viertel in Österreich haben den Wunsch, im Falle einer Pflegebedürftigkeit zu Hause gepflegt zu werden. Erst bei intensivem Pflegebedarf geben nicht mehr 17, sondern 38 Prozent der Befragten an, in einer stationären Einrichtung wie einem Pflege-, Alten- oder betreuten Wohnheim gepflegt werden zu wollen. 51 Prozent gehen allerdings davon aus, dass Pflegebedürftige aktuell bereits stationär gepflegt werden. Tatsächlich sind es aber gerade einmal 21 Prozent der insgesamt 466.000 Personen, die im vergangenen Jahr Pflegegeld bezogen.

Das zeigt eine von Gallup-Institutsleiterin Andrea Fronaschütz präsentierte Umfrage, der Ulrike Famira-Mühlberger, Pflegeexpertin und stellvertretende Direktorin des Wifo, Fakten gegenüberstellt. "Das ist eine enorme Unterschätzung der informellen Pflege und eine enorme Überschätzung der stationären Pflege", sagt Famira-Mühlberger.

Pflegende Angehörige werden weniger

27 Prozent der Personen, die Pflegegeld beziehen, werden von mobilen Diensten gepflegt, sieben Prozent erhalten auch eine Förderung und damit 24-Stunden-Betreuung. Neben einem unwesentlich kleinen Anteil in teilstationärer Pflege nehmen 41 Prozent der Pflegebedürftigen, die zu Hause wohnen, keinerlei professionelle Dienstleistung in Anspruch.

Eine Studie von Martin Nagl-Cupal, dem Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaften an der Uni Wien, und seinen Kolleginnen zeigt, dass insgesamt 947.000 Personen in die Pflege und Betreuung eines anderen Menschen involviert sind, 801.000 in die Pflege eines Angehörigen, der zu Hause lebt. "Beinahe ein Fünftel aller befragten pflegenden Angehörigen (19 Prozent) bewältigt die Pflege allerdings alleine, ohne weitere formelle oder informelle Hilfe", ist in der Studie nachzulesen.

Dass Angehörige - weil selbst berufstätig oder zu wenig Platz vorhanden ist - immer weniger Möglichkeit haben, zu pflegen, ist laut Gallup-Umfrage 76 Prozent der Befragten bewusst. 81 Prozent ist klar, dass es zu wenig qualifiziertes Pflegepersonal gibt. 82 Prozent, dass es mit der zunehmenden Alterung allerdings immer mehr Pflegebedürftige gibt. "Ein Thema, das in der Wahrnehmung der Bevölkerung sehr gut angekommen ist", bestätigt Fronaschütz. Ein Teil halte sich selbst nicht dafür in der Lage, pflegen zu können, "was ja bei schwereren Pflegefällen tatsächlich auch der Fall ist", sagt die Gallup-Leiterin. Ein Teil gehe von einer geringeren Bereitschaft der Angehörigen aus, weil diese Freizeit haben wollen, "da brauchen wir gar nichts zu beschönigen".

Lebensabend zu Hause trifft auf Personalengpässe

Wifo-Expertin Famira-Mühlberger macht außerdem darauf aufmerksam, dass Frauen mit heute höheren Bildungsabschlüssen auch in Zukunft, wenn ihre Eltern ins Pflegealter ab 80 Jahre kommen, vermehrt einer Erwerbsarbeit nachgehen und oft weiter weg wohnen. "Die heutigen Pflegefälle treffen im Durchschnitt auch auf noch mehr Kinder, die sie pflegen könnten, als in Zukunft. Das Pflegepotenzial in der Familie sinkt", sagt Famira-Mühlberger. Außerdem habe eine heutige 80-Jährige knapp unter 60-jährige Töchter und Söhne. Weil Kinder später geboren werden, werde die Kindergeneration noch voll im Erwerbsleben stehen, wenn die Elterngeneration pflegebedürftig wird.

Laut Bedarfsprognose der Gesundheit Österreich werden schon alleine wegen der Alterung, des Ausbaus der mobilen Pflege und Pensionierungen 2030 76.000 zusätzliche professionelle Pflegekräfte benötigt werden.