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Der Anti-Archäologe

Von Eva Stanzl

Wissen
Die Welt von unten ist auf den Bildschirmen zu sehen, vor denen Wolfgang Neubauer hier sitzt .
© Interspot Film

Wolfgang Neubauer ist "Wissenschafter des Jahres 2015". Er ist gewissermaßen ein Anti-Archäologe. Denn er gräbt nicht nach Schätzen der Vergangenheit, sondern macht Bilder von ihnen.


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Wien. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, selbst wenn es nicht mit freiem Auge zu sehen ist. Den Beweis liefert der Archäologe Wolfgang Neubauer. Mit hochwissenschaftlichen Methoden macht er Bilder von Welten, die unter der Erde verborgen liegen. Dazu fährt er mit kleinen Traktoren mit gabelförmigen Anhängern über die Lande. Die an den Gabeln befestigten Magnetometer und Bodenradare dringen durch das Erdreich hindurch zu darunterliegenden Strukturen, Fundamenten und Mauerresten. Um die verschütteten Zeitzeugen zu finden, muss kein Spaten angesetzt werden.

Wolfgang Neubauer (52) wurde am Donnerstag zu Österreichs "Wissenschafter des Jahres 2015" gekürt. Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten würdigte mit der Auszeichnung vor allem die Vermittlungsarbeit des Leiters des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI Arch Pro). Der Titel gilt dem Bemühen von Forschern, ihre Arbeit und ihr Fach einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen und damit den Stellenwert der österreichischen Forschung zu heben. Für Neubauer ist Information eine "Bringschuld" von Wissenschaftern, deren Arbeit vom Steuerzahler finanziert wird. Über seine archäologischen Funde berichten Fernseh-Dokumentationen unter anderem in BBC und ORF, Zeitungsberichte, soziale Medien und digitale Kanäle wie YouTube.

Ein Beispiel: Nur wenige Stunden, nachdem er und sein Team im Gelände von Stonehenge die Arbeit aufgenommen hatten, zeigten die Messungen ein "Henge" aus Holz unter der Erde an. Es ist älter als der berühmte Steinkreis in Südengland und liegt 900 Meter von der auffälligen jungsteinzeitlichen Megalithstruktur, die zwischen 2500 und 2000 vor Christus errichtet wurde, entfernt. In weiterer Folge konnten die LBI-Archäologen auch einen Steinkreis unter dem Wall der steinzeitlichen Anlage von Durrington Walls finden. "Wir graben in 3D-Datensätzen", so Neubauer: "Wenn es stimmt, was wir zu sehen glauben, hat die Geschichte von Stonehenge eine große zeitliche Tiefe und ist wesentlich komplexer als angenommen. Etwa könnte sich die Intention der Anlage im Laufe der Jahre verändert haben. Stonehenge war mehr als das, was wir heute als Tempelanlage sehen", erklärte der Archäologe bei der Preisverleihung.

Der als Sohn österreichischer Eltern in Altstätten im Schweizer Kanton St. Gallen geborene und dort aufgewachsene Archäologe fand seine Liebe zum Fach über Fernsehberichte, die damals in der Schweiz liefen. Seine berufliche Laufbahn begann er als Kultur- und Wissenschaftsjournalist, bevor er im Alter von 21 Jahren an der Universität Wien Archäologie und an der TU Wien Informatik zu studieren begann. 2008 wurde er an der Uni Wien im Fach Archäologie habilitiert.

"Stonehenge" in Mistelbach

Neubauer hat die Techniken für eine "Archäologie ohne Spaten" mit- und weiterentwickelt. Im Rahmen des 2010 gegründeten LBI Arch Pro haben er und sein Team bisher mehr als 42 Quadratkilometer vermessen. Zu den Entdeckungen zählen auch eine Gladiatorenschule im antiken römischen Carnuntum, Niederösterreich, und ein Wikinger-Häuptlingssitz in Borre, Norwegen. Künftig will sich der umtriebige Archäologe auf die Spuren der Wikinger in Neufundland vor Kanada begeben, "allerdings suchen wir noch Finanzierungspartner", räumt er ein. Für heuer konzentriert sich seine Vermittlungstätigkeit auf den musealen Bereich: Das Boltzmann-Institut zeigt ab 20. März im Urgeschichtemuseum Mamuz in Mistelbach eine Ausstellung über die Funde in Stonehenge. Man will den Steinkreis aus den Messdaten rekonstruieren und in Teilen aufbauen, "sodass die Besucher die Steine angreifen können", erklärt der Wissenschafter des Jahres.

Die Auszeichnung haben bisher unter anderen der Weltraumforscher Wolfgang Baumjohann (2014), die Umwelthistorikerin Verene Winiwarter (2013), der Ökologe Georg Grabherr (2012) und die Archäologin Sabine Ladstätter (2011) bekommen.