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Der Applaus ist ein enden wollender

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Europaarchiv

Stimmungstief nach einem fulminanten Start. | Erfolgreiche Auftritte auf internationalem Parkett. | Berlin. Heute vor einem Jahr, am 22. November 2005, wurde Dr. Angela Dorothea Merkel, geb. Kasner, als erste Bundeskanzlerin Deutschlands und Chefin einer großen Koalition angelobt. Nach fulminantem Start geriet die für Deutschland ungewohnte Konstellation aus Sozial- und Christdemokraten ins Stimmungstief, von dem sie sich bisher nicht erholt hat.


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Merkel wurde von außen durch den biedermännisch populären SPD-Vorsitzenden Kurt Beck und von innen durch die Landesfürsten der Union in die Zange genommen und büßte wegen ihrer besonnen-abwartenden Taktik stark an Führungsimage ein.

Die bitteren Pillen der Großen Koalition

Auch von der Sachpolitik kamen nicht nur Jubelmeldungen. Kaum im Amt, servierte die Große Koalition den Bürgern ziemlich bittere Pillen: Eigenheimzulage gestrichen, Pendlerpauschale gekürzt, Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht. Der Applaus war ein enden wollender.

Obwohl die Gesundheitsreform zahlreiche Verbesserungen, z.B. für Familien mit Kindern, bringt, laufen diverse Lobbies Sturm dagegen. Die Versicherten fürchten, dass sie statt der versprochenen sinkenden Beiträge massive Erhöhungen berappen müssen. Die Regierung hingegen verweist darauf, dass mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen den Patienten zugute kommen, der Fortbestand der Privaten Krankenkassen gesichert und der Wechsel zwischen den Versicherungen erleichtert werde.

Bei der Föderalismus-Reform ist Rot-Grün gescheitert; bei Schwarz-Rot hingegen ist sie beinahe durchgewunken worden. Die wechselseitigen Blockaden zwischen Bundestag und -rat werden damit minimiert. Erste Auswirkungen zeigen sich bei der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Der saure Apfel, nämlich die Verteilung der Finanzen, muss allerdings erst angebissen werden.

Vorausschauende Pensionsreform

Die Überalterung der deutschen Gesellschaft bringt die Rentenkassen erheblich unter Druck. Ohne viel Aufhebens hat die Bundesregierung ab 2012 eine stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters bis zum Jahr 2029 auf 67 Jahre beschlossen. Nicht gerade populär, dennoch vorausschauend.

Auf der Haben-Seite des Regierungskontos scheinen die boomende Konjunktur und erstmals sinkende Arbeitslosenzahlen auf. Neben der Weltkonjunktur greifen auch interne Maßnahmen, wie etwa das 25-Milliarden-Investitionsprogramm des Bundes. Bereits zum 1. Januar 2007 sinkt der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von heute 6,5 auf dann 4,2 Prozentpunkte. Mit der Unternehmensteuerreform werden zudem die Steuersätze auf unter 30 Prozent reduziert, so dass sich die Wettbewerbssituation der deutschen Betriebe verbessert.

Erstmals seit Jahren wird die Bundesregierung bei der Verschuldung wieder das Grundgesetz und die Maastricht-Kriterien einhalten. Obwohl die Große Koalition von Rot-Grün ein Haushaltsloch von 60 Milliarden Euro übernommen hat, weist der Bundeshaushalt 2007 die geringste Neuverschuldungsquote seit der deutschen Einheit auf. Höhere Steuereinnahmen als erwartet bescheren dem Finanzminister ein "Weihnachtspackerl" mit 20 Milliarden Euro.

Mehr Gelder für die Forschung

Für Forschung und Entwicklung stehen sechs Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Der soeben zwischen Universitäten einerseits sowie Bund und Ländern andererseits geschlossene Hochschulpakt ist das seit Jahren wichtigste Ausbauprogramm für die notorisch unterfinanzierten Hochschulen.

Als "familienpolitischer Meilenstein" wird das Elterngeld bezeichnet: Für alle ab 2007 geborenen Kinder wird mindestens ein Jahr lang Elterngeld bezahlt, das sich am vorherigen Nettoeinkommen der Mutter oder des Vaters orientiert. Immerhin rund 3,87 Milliarden Euro macht die Bundesregierung für die Familien locker. Zudem gibt es künftig bessere Möglichkeiten, die Kinderbetreuungskosten steuerlich abzusetzen.

Zu den Highlights des ersten Regierungsjahres zählt der internationale Auftritt Deutschlands. Das Zusammenspiel der Kanzlerin mit ihrem Außenminister funktioniert leise und reibungslos. Deutschland leistet seinen Beitrag zum Frieden in Afghanistan, vor den Küsten Libanons und im Kongo. Das Verhältnis zu den USA ist wieder saniert. Ganz oben auf der außenpolitischen Agenda stehen die EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Vorsitz im kommenden Jahr.

Auch weiterhin ist für Spannung gesorgt. Konflikte zwischen den Koalitionären gibt es zu Hauf: Lockerung des Kündigungsschutzes, Ausbau des Niedriglohnsektors, Kombilohn, Orientierung des Arbeitslosengeldes nach der Dauer der Versicherung, Lockerung des Kündigungsschutzes, betriebliche Bündnisse für Arbeit, Atom_Ausstieg, Reform der Pflegeversicherung, EU-Beitritt der Türkei - in all diesen Feldern stehen die Positionen der Koalitionspartner diametral gegeneinander.

Jahresbilanz ist durchwachsen

Merkels Jahresbilanz ist also durchwachsen. Dennoch ist mehr Positives auf den Weg gebracht worden als die "Performance" glauben macht. Zumindest zeigen sich alle Koalitionsspitzen überzeugt, dass die Regierung die volle Legislatur hindurch halten werde. Und Merkel reagiert auf die Kritik an ihrem Führungsstil gelassen: "Ich habe meinen eigenen Stil. Sie werden sehen: Er ist erfolgreicher!"

Deutschland wird mit Budget 2007 Stabilitätspakt einhalten