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"Der Arbeitsmarkt hat ja keinen Gartenzaun"

Von Katharina Schmidt

Wirtschaft
Kurz vor 20 Uhr am Wiener Gürtel erwartet die Pendler die Heimfahrt. Schmidt

Laut Statistik Austria liegt der Arbeitsplatz von rund 1,821.000 Österreichern nicht in ihrer Wohngemeinde. Auch die Firma Billa/Rewe akquiriert einen Teil ihrer Wiener Mitarbeiter aus den umliegenden Bundesländern - seit 1987 bringen eigens vom Konzern angeheuerte Shuttle-Busse die Angestellten aus ihren - teilweise mehr als 150 km entfernten - Wohnorten nach Wien. Die "Wiener Zeitung" hat sich im Alltagsleben der Pendler umgeschaut und mit Betroffenen gesprochen.


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"Der Job ist ideal für mich, ich bin das frühe Aufstehen schon gewöhnt", zeigt sich Brigitte überzeugt. Seit zwei Jahren pendelt die Niederösterreicherin dreimal in der Woche von ihrem Heimatort Aspang am Wechsel nach Wien, um dort ihren Dienst an der Billa-Kassa zu versehen.

Brigitte ist - wie auch ihre pendelnden Kolleginnen - eine 30-Stunden-Kraft. Mehr würde ihr Tagesablauf auch nicht zulassen: So steht Brigitte an Arbeitstagen um 3.45 Uhr auf und kehrt nach einer zehnstündigen Schicht und rund drei in verschiedensten Verkehrsmitteln verbrachten Stunden erst gegen 22 Uhr wieder zu ihrem Mann und ihrem elfjährigen Sohn zurück. Die wenigsten von Brigittes Kolleginnen nehmen den mühsamen Pendler-Verkehr allerdings aus familiären Gründen auf sich: "Wir Jungen finden da draußen einfach keine Arbeit", bringt eine ihrer Kolleginnen die Problematik auf den Punkt.#

Pendeln als Ausweg

In jenen Bundesländern etwa, in denen der Billa-Shuttle-Bus verkehrt, lag die Arbeitslosenquote im Jahr 2003 meist über dem Österreich-Durchschnitt von sieben Prozent: Im Burgenland betrug sie durchschnittlich 8,6 Prozent, in der Steiermark 7,3 und in Niederösterreich 7,0 Prozent.

Die maximale Wegzeit für Pendler ist in der 2004 verabschiedeten Zumutbarkeitsregelung auf ein Viertel der täglichen Arbeitszeit beschränkt. Diese Bestimmung greift allerdings nur bei unfreiwillig vom AMS (Arbeitsmarktservice) zur Annahme einer Stelle außerhalb ihrer Wohngemeinde verpflichtete Langzeitarbeitslose: Bei Arbeitsverweigerung droht der Verlust der Notstandshilfe.

Grenzenloser Arbeitsmarkt

Dass viele Arbeitnehmer allerdings ohne Zwang seitens des AMS auch weitere Strecken pendeln, weiß Martina Fischlmayr vom AMS Niederösterreich. "Der Arbeitsmarkt hat ja keinen Gartenzaun", wundert sie sich über die Anfrage der "Wiener Zeitung", ob denn viele Niederösterreicher nach Wien pendeln. Laut Statistik Austria sind es übrigens beinahe 166.000, dazu kommen 23.000 burgenländische und 11.000 steirische Pendler.

Im Gegensatz zu den hohen Arbeitslosen-Zahlen - den Österreich-Rekord hielt 2003 Wien mit einer Arbeitslosenquote von 9,5 Prozent - fehlt es Billa/Rewe derzeit gerade in der Bundeshauptstadt an Mitarbeitern, erklärt Konzernsprecherin Corinna Tinkler. Deswegen wirbt der Konzern etwa im steirischen Pöllau Verkäufer für Wien an.

Von den jüngsten Auseinandersetzungen um die von Vizekanzler Hubert Gorbach geforderte Erhöhung des Kilometergeldes sind die rund 550 - meist weiblichen - Pendler allerdings nicht betroffen. Die Firma Billa/Rewe übernimmt die Buskosten und finanziert die Tickets der Wiener Linien. Wie Brigitte gegenüber der "Wiener Zeitung" zugibt, würde "sich das Pendeln nicht lohnen, wenn die Firma nicht die Reisekosten übernähme".

Insel der Seligen?

Grundsätzlich ist die Niederösterreicherin zufrieden mit der Arbeit; angenehm sei die Arbeitszeit: "Wenn ich drei Tage pro Woche arbeite, muss ich nicht so oft eine Betreuung für meinen Sohn finden". Auch Corinna Tinkler lobt das System der im Wochenrhythmus wechselnden Arbeitstage (Montag, Mittwoch und Freitag bzw. Dienstag, Donnerstag und Samstag), dadurch sei die Freizeit für die Pendler planbar.

Dass diese Einteilung aber nicht immer funktionieren muss, weiß Florian Czech von der Gewerkschaft der Privatangestellten. Besonders die Teilzeitkräfte hätten oft wenig planbare Arbeitswochen, weil die Stundeneinteilung in manchen Filialen erst kurzfristig festgelegt würde, so der Koordinator der Task-Force zur Beseitigung arbeitsrechtlicher Missstände bei Billa/Rewe.

Zwar sei die Lage der Arbeitszeit im Dienstvertrag grundsätzlich festgelegt, in der Praxis würde dies aber kaum durchgesetzt. "Gerade für Pendler ist das natürlich ein Wahnsinn", so Czech gegenüber der "Wiener Zei tung". Nach geltendem Recht ist auch der Dienstbeginn erst dann, wenn der Arbeitnehmer in der Firma erscheint - so käme es immer wieder vor, dass zuspätkommenden Pendlern die fehlenden Stunden abgezogen würden. Dies sei bei ihr eindeutig nicht der Fall, beteuert Brigitte. Sie sei zwar "eigentlich nie pünktlich", die Filialleiterin habe aber Verständnis für ihre Situation.