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Welche Teststrategie in Phase zwei notwendig ist und welche begleitenden Maßnahmen wichtig sind.
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In der zweiten Phase der Coronavirus-Epidemie muss sich auch die Teststrategie der Bundesregierung ändern. Beschäftigte in der kritischen Infrastruktur werden verstärkt getestet, auch wenn sie keine Symptome aufweisen. Das ist notwendig, aber auch mit Problemen versehen, sagt der Gesundheitsökonom und ausgebildete Mediziner, Thomas Czypionka vom IHS.
"Wiener Zeitung": Am Anfang der Krise, als sich das Virus exponentiell verbreitete, gab es nicht genügend Tests. Die Testkapazitäten wurden hochgefahren, nun gibt es wenige Neuerkrankungen. Ist es noch relevant, ob 2000 oder 8000 Tests täglich durchgeführt werden können?
Thomas Czypionka: Sogar hochrelevant, da wir durch die vorsichtige Öffnung wieder einen Anstieg der Fälle haben werden. So eine Öffnung muss zwingend mit einer Containment-Strategie verbunden sein. Das heißt, ich muss frühzeitig erkennen, wo sich die Infektion wieder ausbreitet. Auf diese Cluster muss ich schnell einen Deckel stülpen. Wenn das nicht gelingt, kommen wir wieder in die exponentielle Phase und brauchen erneut einen Shutdown.
Wie muss sich die neue von der alten Teststrategie unterscheiden?
Idealerweise erkennen wir möglichst früh die neuen Cluster. Wir wissen, dass fast 50 Prozent der Ansteckungen in der präsymptomatischen Phase passieren, also bevor sich die Leute krank fühlen. Asiatische Staaten haben umfangreiche Fiebertestungen gemacht. Das Fieber taucht zwar erst in einer Phase auf, in der vermutlich schon weitere Personen angesteckt wurden, aber durch das Contact Tracing (Rückverfolgung von Infektionsketten, Anm.) und viele Tests und Quarantäne, hat man immer wieder das Aufflammen unter Kontrolle gebracht.
Wie sicher sind die Tests und wo gibt es Fehlerquellen?
Man muss zwischen Laboruntersuchungen, wo die technische Sensitivität und Spezifität (siehe Kasten, Anm.) festgestellt wird, und der konkreten Anwendung unterscheiden. Fehlerquellen gibt es verschiedene: bei der Abnahme des Abstrichs, beim Transport oder beim Handling im Labor. Eine Quelle ist auch, dass das Virus nicht erkannt wird, weil es sich in die Lunge zurückgezogen hat. Es kann sein, dass Covid-Patienten an manchen Tagen negativ sind.
Wenn man jetzt mehr asymptomatische Personen testet, erhält man dann nicht zwangsläufig viele falsche Ergebnisse?
Es ist auf jeden Fall ein Problem. Es gibt die sogenannte "base rate fallacy" (Prävalenzfehler, Anm.). Das bedeutet, die Aussagekraft des Tests hängt stark davon ab, welcher Anteil der Bevölkerung das Virus in sich trägt. Auch Tests, die zu 99 Prozent genau sind, machen enorme Fehler, wenn der Anteil der Infizierten sehr gering ist. Deshalb empfehlen Experten auch nicht, breitest möglich zu testen, sondern immer begründet. Sonst ist die Gefahr hoch, ein falsches Ergebnis zu erhalten.
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Es wird zwar nicht die gesamte Republik flächendeckend getestet, wohl aber in Pflegeheimen. Ist das ein Problem?
Nicht wirklich. Ich stecke lieber zwei Leute zu viel in Quarantäne als zwei zu wenige.
Aber auch eine einzige falsch negative Person, die in Wahrheit doch krank ist, kann im Altenheim viele anstecken.
Ja, aber wenn die Krankheitshäufigkeit sehr niedrig ist, hat man zwar viele falsch positive, aber nur sehr wenige falsch negative Ergebnisse. Und wenn uns irgendwann einmal ein falsch Negativer durch die Lappen geht, ist das nicht so dramatisch. Aber klar, perfekt ist nichts.
Wie ist das in Büros mit 100 Mitarbeitern. Wenn es einen Fall gibt, kann man kaum das ganze Büro in Quarantäne schicken, oder?
Zu dieser Situation darf es gar nicht kommen. Man wird auch im Arbeitskontext auf Distanz bleiben müssen und als Arbeitgeber, wenn möglich, weiter auf Teleworking setzen. Aber auf gar keinen Fall, darf es ein Verhalten geben, wo sich 200 infiziert haben könnten.
Wenn nun in einem Büro ein Fall auftritt: Was soll der Arbeitgeber tun?
Es ist wichtig, dass man an die Arbeitgeber vorab kommuniziert, Maßnahmen zu treffen, dass zum Beispiel nicht alle im selben Lift fahren, nicht alle zur gleichen Zeit zusammenarbeiten. Dann muss man möglichst viele testen und daheim isolieren. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Arbeitgeber bewusst sind, dass sie ein großes Risiko eingehen, weil in diesem Fall ein Gutteil der Belegschaft nicht mehr verfügbar wäre. Wenn etwas passiert, sollte nur eine limitierte Anzahl potenziell infiziert sein. Das ist ganz entscheidend, denn der Arbeitsplatz ist eine größere Gefahr als der Supermarkt.
Was heißt genau Kontakt? Eine gemeinsame Toilette? Ein Treffen am Gang?
Kontakt heißt direkter Sprechkontakt, wo ich also direkt Tröpfchen abbekommen kann. Man weiß aber auch, dass das Virus in Tröpfchen in der Luft länger stehen bleiben kann. Die typische Situation wäre ein Lift. Der birgt ein höheres Risiko einer Ansteckung, weil da viele aus- und einsteigen, als etwa die gemeinsame Toilettenbenutzung. Dort gibt es auch eine Lüftung, die ist wichtig, weil sie kontaminierte Luft wieder entfernt.
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In der zweiten Phase will man Tracing und Tracking betreiben. Also die Kontakte von nachweislich Infizierten schneller feststellen. Das Grundproblem: Das Virus zeigt sich symptomatisch erst nach ein paar Tagen - wenn überhaupt. Kann die App hier helfen?
Eine App hat den Vorteil, dass sie potenzielle Kontakte registriert, an die man selbst nicht denkt. Aber auch eine App ist lückenhaft, weil nicht jeder das immer verwendet. Wenn uns einige Einzelne entgehen, sollen durch Distanzhalten und Maskenpflicht möglichst wenige neue Infektionen erzeugt worden sein.
Angenommen, ich habe auf einmal Symptome. Angesteckt habe ich mich in dem Fall Tage vorher. Seither war ich aber ein paar Mal in der Arbeit, war einkaufen und habe Freunde getroffen. Welche Kontakte sollen da von der App informiert werden?
Das ist der Punkt. Die Illusion entsteht, jetzt geht alles wieder mit ein paar Einschränkungen normal weiter. Das Ganze funktioniert aber nur, wenn ich nicht 200 Kontakte in zwei Tagen hatte. Die Zahl jener, die sich infiziert haben könnten, muss niedrig sein, man könnte nicht alle testen oder in Quarantäne schicken. Darum werden auch Diskos auf absehbarer Zeit nicht aufmachen können.
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Die Bundesregierung will schneller werden beim Nachweis von Erkrankungen. Welche Möglichkeiten gibt es neben der App?
Es gibt auch die Möglichkeit des pooled testing. Das heißt, man testet mehrere Proben zusammen. Wenn das Ergebnis negativ ist, sind alle Proben negativ. Es gibt auch Drive-ins, bei denen man räumlich alles konzentriert. Man kann daher die Distanz und damit auch die Zeit von der Probe bis zum Testergebnis kurz halten. Es kommt auf die Zeit an. Wenn ich den Erstkontakt mit Symptomen habe, wäre es gut, diesen sehr schnell zu testen, bevor ich sehr viele von dessen Kontakten in Quarantäne schicke.
Wer macht das "Tracing und Tracking?
Der Öffentliche Gesundheitsdienst hat diese Aufgabe und ist jetzt sehr gefordert. Und es könnte ihn auch überfordern, wenn wir wieder in einen exponentiellen Anstieg kommen. Wenn uns die Infektionsereignisse wieder explodieren, kommt man beim Tracing der Kontakte nicht mehr hinterher.
Zuletzt noch zu den Antikörpertests, die über die Immunität Auskunft geben sollen. Was ist Ihr Letztstand über diese Tests?
Wir müssen einmal ganz grundsätzlich klären, dass ein Antikörpernachweis kein Immunitätsnachweis ist. Sie können Antikörper haben, die aber nicht ausreichen, um Immunität zu erzeugen. Dafür brauchen Sie einen Test auf neutralisierende Antikörper. Dabei wird getestet, ob die Antikörper in der Lage sind, das Virus am Eindringen in die Zelle zu behindern. Das wird in einer Zellkultur gemacht und ist nicht ganz einfach.
Wer nachweislich infiziert war, kann davon ausgehen, Antikörper zu entwickeln. Aber wie erkennt man jene, die keine oder nur milde Symptome hatten und gar nicht getestet wurden?
Ja, da haben Sie die große Gefahr. Da haben Sie einen Test, der positiv ist, aber selbst bei hoher Qualität des Tests haben Sie durch die geringe Krankheitshäufigkeit häufiger falsch positive Ergebnisse als richtig positive. Dann freut man sich über den positiven Antikörpertest, dass nichts mehr passieren kann, besucht die Großeltern. Und dann ist man einer von denen, die falsch positiv und tatsächlich gar nicht immun waren. Man sollte Antikörper auch über einen laborbasierten Test auch noch nachweisen. Das ist halt teuer.
<info-p>Wissen: Sensitivität und Spezifität
Wie genau Tests sind, wird in zwei Parametern angegeben: der Sensitivität und der Spezifität. Die Sensitivität gibt den Anteil jener an, die korrekt als positiv erkannt werden, die Spezifität den Anteil der richtig Negativen. Je höher dieser Wert ist, desto genauer ist der Test. Wenn die Parameter bei je 98 Prozent liegen, bedeutet dies, dass 2 aus 100 Personen ein falsches Ergebnis erhalten. Diese Ungenauigkeit wirkt sich gravierender aus, je größer die Grundgesamtheit von Erkrankten/Nicht-Erkrankten ist. Das ist das Problem bei flächendeckenden Testungen. Am Beispiel Österreich: Wenn ein Prozent Virusträger sind, wären das 89.000 Personen. Bei 2 Prozent Fehleranfälligkeit würden demnach 1780 Personen von diesen ein falsch negatives Ergebnis erhalten. Umgekehrt sind zwei Prozent von 8,8 Millionen, die kein Virus in sich tragen, 176.000, die ein falsch positives Ergebnis erhielten. Das ist vor allem bei Antikörpertests, die die Immunität nachweisen sollen, ein Problem. Viele könnten sich immun wähnen, wären es aber nicht.
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