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Wer fast 19 Jahre im selben Büro arbeitet, drückt dem Raum nachhaltig den Stempel seiner Persönlichkeit auf. Was das Arbeitszimmer von Ludwig Adamovich, dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), angeht - es entspricht so überhaupt nicht dem gemeinhin bekannten Bild vom distinguierten Juristen und analytischen Kopfmenschen.
"Hätte mein Vater dieses Büro gesehen - es hätte ihn vermutlich zum Selbstmord oder Mord getrieben," befindet Ludwig Adamovich jun., der mit Ende 2002 in den Ruhestand geht. Sein Blick streift nachdenklich durch das Arbeitszimmer mit dem - unter der vielschichtigen Last aus Büchern, Zeitungen und Zetteln - kaum sichtbaren Schreibtisch. "Er war ein großer Formalist und Pedant," erinnert sich der VfGH-Präsident und Universitätsprofessor an seinen Vater, der dieses Amt von 1946 bis 1955 innehatte, um ironisch hinzuzufügen: "Und ich habe, wie Sie selbst sehen können, weder für das eine noch für das andere allzu viel übrig".
Ohne Genauigkeit und einen gewissen Formalismus geht es selbstverständlich auch und gerade in der Juristerei nicht. Was dazu führe, dass normative Wissenschaften wie die Rechtswissenschaft oder die Ethik, "mitunter quälend" werden könnten. Der am 24. August 1932 gebürtige Innsbrucker, der 1976 unter Bundeskanzler Bruno Kreisky mit der Leitung der Verfassungssektion des Bundeskanzleramtes betraut wurde, bekennt: "Wenn ich heute 19 Jahre alt wäre, würde ich vielleicht Medizin studieren". Warum Adamovich, der in den letzten Jahren die Hirnforschung als "faszinierendes Wissensgebiet" für sich entdeckt hat, keine Naturwissenschaft zu studieren begann? "Weil ich kein guter Mathematiker bin." Aus Sicht von Jurisprudenz und Judikative erwies sich Adamovichs mathematische Schwäche freilich als Glücksfall. Mit ihm verfügt der VfGH seit 1984 über einen ebenso integren wie kompetenten Mann an der Spitze. Für Gesetzgebung und Verwaltung erwies sich der VfGH unter Adamovich allerdings bisweilen als lästig. Nicht erst diese Regierung scheiterte mit diversen Vorhaben an der Prüfung durch die Verfassungshüter. Laut Adamovich verzeichnet der VfGH in jüngster Zeit ein gestiegenes Arbeitsaufkommen. Zwar gebe es quantitativ "keine signifikanten Zuwächse", sehr wohl aber in qualitativer Hinsicht. Was zum Teil - wie er erklärt - an der geänderten politischen Landschaft mit dem "sehr akzentuierten Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition" liege, zum Teil auch am Gemeinschaftsrecht, das bisweilen in die Verfassungs-Sphäre hineinreiche.
Mit Aufhebung der sogenannten Ortstafelregelung im Volksgruppengesetz machte der VfGH dem Kärntner Landeshauptmann einen Strich durch die Rechnung. Letzterer reagierte prompt und untergriffig, seinen Zorn fokussierte er auf Adamovich. Von der Verunglimpfung seines Namens bis zur Unterstellung "unehrenhaften" Verhaltens reichten die Angriffe. Für den Höchstrichter, der sich unvermittelt in die tiefsten Niederungen österreichischer Tagespolitik hinabgezogen sah - eine Kränkung.
Heute resümiert er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Haider hat meinen Erfahrungs-Schatz bereichert und das ist auch etwas wert. Das beste, was man mit unerfreulichen Erlebnissen tun kann, ist, daraus Erfahrungen zu ziehen. Raunzen und Jammern hat keinen Sinn." Eine weitere Erfahrung, die Adamovich machen musste: Allein mit sachlichen oder juristischen Argumenten wird man von der Bevölkerung oft nicht verstanden. Vor allem, wenn der Diskussionspartner populistisch argumentiert. "Leider ist es so", zitiert er einen Satz von Alexis de Tocqueville "dass sich eine Idee, die einfach aber falsch ist, immer gegen ein Idee durchsetzen wird, die richtig aber kompliziert ist." Richterliches Ethos ist für den hochdekorierten Juristen - Adamovich hält Ehrendoktorate von Universitäten im In- und Ausland und ist Träger verschiedenster wissenschaftlicher Preise - von hohem Wert. Zweifellos sei der Richter eine Figur, auf der die Hoffnungen der Menschen ruhen, für viele die personifizierte Gerechtigkeit schlechthin. Nur sei in einem aufgeklärten Zeitalters die Vorstellung vom "Richter-König, der hoch oben auf seinem Thron weise, gütig und gerecht entscheidet, weil er eben der Richter-König ist" eine Illusion. "Es ist notwendig für jeden Richter, dass er selbstkritisch bleibt und zum prime-facie-Eindruck eine gewisse Distanz hält", formuliert Adamovich.
Emotion oder Intuition dürften in der Rechtsprechung keine Rolle spielen. Allerdings sei auch Kelsens Ideal-Vorstellung, der Richter wende die Rechtsnormen so distanziert an, wie ein Chemiker Substanzen im Labor zusammenbraut, "sicherlich nicht haltbar".
Besondere Pläne für die Zeit nach dem 31. Dezember - mit Ende 2002 tritt Adamovich in den Ruhestand - schmiedet er nicht. Zusammen mit Univ.-Prof. Bernd-Christian Funk und VfGH-Mitglied Univ.Doz. Sektionschef Gerhart Holzinger will er eine Darstellung des Verfassungsrechts vollenden. Mit diesem Buch tritt Adamovich neuerlich in die Fußstapfen seines Vaters, der ebenfalls ein Verfassungsrechts-Lehrbuch verfasste hatte.
"Völlig emanzipieren kann man sich von so einem übermächtigen Vaterbild nie," reflektiert Adamovich. Man müsse sich klar werden, inwieweit sich im eigenen Verhalten die Auseinandersetzung mit dem Vater widerspiegelt: "Wie es in diesem Zimmer hier aussieht - ist sicher kein Zufall."