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Der aufgerüstete Paria-Staat

Von Klaus Huhold

Politik

Waffenexperten warnen, dass Nordkorea bis Ende des Jahres über genug Material für 20 Atombomben verfügen könnte. Staatsführer Kim Jong-un lässt sich offenbar nicht aufhalten und agiert keineswegs irrational.


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Pjöngjang/Wien. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, wann Nordkorea den nächsten Atomtest durchführt oder wieder Raketen abfeuert. Am 9. Oktober oder am 17. Dezember könnte es so weit sein. Das Regime in Pjöngjang liebt es nämlich, zu besonderen Anlässen seine militärische Schlagkraft unter Beweis zu stellen. Am 9. Oktober ist der zehnte Jahrestag des ersten nordkoreanischen Atomtests, am 17. Dezember der Todestag des 2011 verstorbenen Ex-Diktators Kim Jong-il.

Eines ist jedenfalls klar: Der international geächtete Paria-Staat setzt unbeirrt sein Atomprogramm fort. Und Kim Jong-un, der Sohn und Nachfolger von Kim Jong-il, lässt sich durch sämtliche internationale Sanktionen und Drohungen nicht von seinem Kurs abbringen.

Nach Nordkoreas fünftem Atomtest am vergangenen Freitag schrillen die Alarmglocken noch einmal lauter: Der kommunistische Staat scheint bei der Entwicklung von Nuklearwaffen weiter, als bisher international angenommen wurde: So gehen nun Waffenexperten der US-amerikanischen John Hopkins Universität davon aus, dass Nordkorea bis Ende des Jahres über genug Material für 20 Atombomben verfügen könnte. Laut Siegfried Hecker, einem der profiliertesten US-Forscher im Bereich Nuklearwaffen, hat Nordkorea den Prozess der Urananreicherung derart beschleunigt, dass es zusammen mit seinem Vorrat an Plutonium etwa sechs Atombomben pro Jahr herstellen könne.

"Neuer atomarer Joker"

Die Experten schätzen die jährliche Produktionsmenge Nordkoreas auf bis zu 150 Kilogramm Uran und den Plutonium-Vorrat auf bis zu 54 Kilogramm. Beide Stoffe können zum Bau von Atomwaffen genutzt werden. Zwar können die Plutoniumvorräte Nordkoreas mit Hilfe von Satellitenbildern vergleichsweise genau geschätzt werden. Dagegen können westliche Experten nur schwer erkennen, wie fortgeschritten das Uranprogramm ist. Jeffrey Lewis vom kalifornischen Middlebury Institute of International Studies sagte, Nordkorea könne wahrscheinlich an zwei Standorten hochangereichertes Uran für den Bombenbau produzieren. Hecker nannte die Uranproduktion Nordkoreas "neuen atomaren Joker". Dem nicht genug, scheint Nordkorea auch bei der Entwicklung ballistischer Trägerraketen massive Fortschritte zu machen.

Die USA haben zwar als Antwort auf den jüngsten Atomtest Nordkoreas zwei Bomber des Typs B-1B, der im Irak und Afghanistan für Angriffe eingesetzt wurde, über Südkorea fliegen lassen. Damit wollten sie noch einmal unterstreichen, dass sie hinter ihrem Verbündeten Südkorea stehen. Aber auch das wird Nordkorea wenig beeindrucken.

Die internationale Gemeinschaft ist ratlos, wie sie Kims Aufrüstung stoppen soll. Der Diktator agiert dabei keineswegs irr oder verrückt, wie es in manchen Medien gerne dargestellt wird, sondern folgt - worauf verschiedene Nordkorea-Forscher immer wieder hinweisen - einer klaren Strategie: Je stärker sein Land bewaffnet ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Regime durch eine militärische Intervention von außen gestürzt wird. Der Sturz von Muammar Gaddafi in Libyen oder die Intervention im Irak Saddam Husseins dienen Staaten, die heute als Feinde des Westens und der USA gelten, als warnendes Beispiel.

Zudem spielen Kim die unterschiedlichen Interessen der USA und Chinas in die Hände. In den USA wird laut über verschärfte Sanktionen gegen Nordkorea nachgedacht - ins Spiel gebracht werden dabei etwa eine totale Blockade des Schiffsverkehrs mit Nordkorea oder noch stärke Einschränkungen für Nordkorea im internationalen Zahlungswesen. Doch darauf ist Washington auf die Kooperation der UN-Vetomacht China angewiesen.

Peking hat aber bisher, etwa durch Öllieferungen und Geschäftskontakte, die nordkoreanische Wirtschaft am Laufen gehalten. China ist zwar alles andere als glücklich über Nordkoreas Aufrüstung - ein Kollaps des verarmten Nachbarstaates samt Chaos wäre für Peking aber eine noch viel schlimmere Option. Zudem ist die Volksrepublik massiv verärgert, weil die USA ein Raketenabwehrsystem in Südkorea stationieren wollen, das China auch gegen sich gerichtet sieht. Peking sieht laut einem Artikel der "New York Times" nun noch weniger Grund, mit den USA in der Nordkorea-Frage zu kooperieren.

Und so droht die ganze Region noch mehr aufzurüsten: So mehren sich auch in Südkorea und Japan die Stimmen, die fordern, dass diese beiden Länder angesichts von Nordkoreas Nuklearprogramm selbst zu Atommächten werden sollten - anstatt sich nur auf die USA zu verlassen.