)
Die politische Klasse des Landes vermittelt heftig wie selten zuvor den Eindruck, über keine Agenda, keine Überzeugungen und keine Leadership zu verfügen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Seit der Bankier Andreas Treichl seinem Unmut über die intellektuelle Ausstattung und den Mut unserer politischen Klasse recht pointiert Ausdruck verliehen hat ("dumm und feig"), scheint das Hobby "Politikerbeschimpfung" auf stadtbekannte Herren fortgeschrittenen Alters und fortgeschrittener wirtschaftlicher Unabhängigkeit eine unwiderstehliche Faszination auszuüben.
Wer auch nur halbwegs auf sich hält, puttet nicht mehr auf dem Golfplatz ein, sondern zielt mit scharfer intellektueller Munition auf den nächstbesten Politiker oder noch besser gleich die Politiker insgesamt. "Die gegenwärtige Regierung genießt das geringste Ansehen aller Regierungen der Zweiten Republik", diagnostizierte etwa jüngst Gerd Bacher (in der "Presse") und ließ dabei nicht den geringsten Zweifel darüber aufkommen, dass er auch dieses geringe Ansehen der Regierung noch für ein unverdientes Geschenk hält.
Während in Arabien der Aufstand der Generation Facebook Geschichte schreibt, ist in Österreich offenbar eine kleine Silberrücken-Revolte im Gang. Von der informierteren Öffentlichkeit wird sie mit einem kollektiven "Endlich sagts jemand" stürmisch akklamiert.
Jener massive Verdruss, der hier ausbricht wie ein isländischer Vulkan, speist sich natürlich aus vielen, gut beschriebenen Quellen: dem lähmenden Stillstand in vielen Politikfeldern, Packelei um Posten, Privilegien und Positionen oder dem Prinzip des Machterhaltes als oberster Maxime allen politischen Handelns.
Doch dass vermutlich noch keine Regierung - man könnte hinzufügen: keine politische Klasse - der Zweiten Republik so wenig Ansehen genoss wie die derzeitige (so Bacher), hat noch andere Gründe. Kaum eine andere politische Klasse zuvor vermittelte in derartiger Intensität den Eindruck, über keinerlei nennenswerte inhaltliche Agenda (außer dem eigenen politischen Überleben) zu verfügen, Entscheidungen nach keinem anderen Kriterium mehr zu treffen als deren Auswirkungen auf die eigene politische Überlebensfähigkeit, und dass es ihr nicht um die Sache, sondern bloß um den Effekt geht. Nicht die viel beschworene Gemeinsamkeit von Klausur-Inszenierungen ist virtueller Wappenspruch der Regierenden, sondern das 200 Jahre alte Diktum des Politikers und Spötters Charles-Maurice de Talleyrand-Perigord: "Hier zieht mein Volk, ich muss ihm nach, ich bin sein Führer . . ."
Es ist nicht auszuschließen, dass eine politische Klasse auf diese Weise ihr schieres Überleben zu sichern vermag, eine Zeit lang zumindest. Völlig auszuschließen ist hingegen, dass sie sich auf diese Weise so etwas wie Ansehen verschaffen kann. Ansehen entsteht in der Politik in aller Regel durch Mut, Entschlossenheit, das Kurshalten auch bei schwerem Seegang, das Riskieren von Niederlagen und das Festzurren von politischen Positionen, auch wenn sie nicht unbedingt mehrheitsfähig sind. Ansehen entsteht aus Haltung und dem Mut, zu dieser Haltung zu stehen.
Wer in der Politik nichts davon zu bieten hat, darf sich nicht wundern, wenn die Disziplin "Politikerbeschimpfung" zum populären Breitensport wird.