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Der "autofreie Schmäh"

Von Christian Rösner

Politik
Maximal 30 Prozent weniger Verkehr in den Innenstadt wären möglich, sagen Experten.
© Rösner

Die Ankündigung, die Wiener Innenstadt in drei Monaten autofrei machen zu wollen, hat weniger mit moderner Verkehrspolitik zu tun, als mit parteipolitischen Interessen.


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Es ist in Zeiten des Klimawandels ein wichtiges Thema, darüber sind sich alle einig: Weniger Autos in den Städten sorgen für bessere Luft und steigern die Lebensqualität. Viele Städte auf der ganzen Welt setzen diesbezüglich unterschiedlichste Maßnahmen. Aber die erfolgte Ankündigung der grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein und dem türkisen Bezirksvorsteher Markus Figl, den ersten Bezirk in Wien "autofrei" machen zu wollen, hat damit gar nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um reine Wahlkampf-PR einer Interessenskoalition - ein "autofreier Schmäh", der angesichts der vielen Schlagzeilen in der vergangenen Woche voll aufgegangen ist.

Aber wer genau hat was davon? Nun, bei der grünen Partei scheint es klar zu sein: Sie will ihre Wählerschaft ansprechen - und Hebein möchte ihre Popularität erhöhen. Wobei hier die Innenstadt symbolisch für die gesamte Stadt zu sehen ist. Und weil Hebein das alles - wie übrigens auch die Pop-up-Radwege - sehr provokant ohne Absprache mit dem Koalitionspartner gemacht hat, geht es wohl auch darum, sich von der SPÖ abzugrenzen und deutlich zu machen: Auch wir können Themen setzen. Eine Aktion durchaus auch mit Signalwirkung Richtung Bundesgrüne. Dazu kommt noch das gewählte Wording "autofreie Innenstadt": Angesichts der Tatsache, dass es weit mehr als ein Dutzend Ausnahmen geben soll und damit laut Experten eine Reduktion des Verkehrs um nur maximal 30 Prozent möglich sein wird, kann von "autofrei" keine Rede sein.

"Falsche Etikettierung"

"Es ist eine falsche Etikettierung", sagt auch der Politikberater Thomas Hofer dazu. Das gemeinsame Ziel der rot-grünen Stadtregierung einer Verkehrsberuhigung hätte da schon eher einer modernen Stadtpolitik entsprochen und wäre auch glaubwürdiger gewesen, als jetzt schnell etwas aus dem Boden zu stampfen, meint Hofer.

Was den Bezirksvorsteher betrifft, so beschränkt sich dieser mit der Aktion tatsächlich nur auf seinen Bezirk und versucht Kante zu zeigen und in die Fußstapfen seiner Vorgängerin Ursula Stenzel zu schlüpfen. Auf der wirtschaftsorientierten ÖVP-Seite dürfte man jedenfalls nicht so begeistert von der autofreien City sein, weshalb das Ganze von der Bundespartei erst gar nicht kommentiert wurde. Deutliche Kritik kam aber vonseiten der Wiener Wirtschaftskammer und dem Wirtschaftsbund, weil der Zeitpunkt für ein Einfahrverbot angesichts der durch Corona stark angeschlagenen Wirtschaft denkbar schlecht sei. Trotzdem haben die Türkisen etwas davon: Die Aktion unterstützt ein mögliches strategisches Ziel der Bundespartei; nämlich Wien den roten Bürgermeister wegzunehmen - oder aber auch beizutragen, dass die Beziehung zwischen Grün und Rot weiter erkaltet, um sich als potenziellen Koalitionspartner nach der Wien-Wahl im Herbst zu positionieren. Denn eine türkis-grün-pinke Mehrheit scheint sehr unwahrscheinlich, wenn es der Liste HC Strache nicht gelingen sollte, in den Wiener Landtag einzuziehen.

Größter Spagat für SPÖ

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat hier wiederum am wenigsten zu gewinnen, weshalb er auch auf Zeit spielt und "sich das alles erst einmal anschauen will". Denn den größten Spagat muss seine Partei hinlegen, um so wenig Wähler wie möglich zu verlieren. Und dabei kommen ihm hier einmal mehr die unterschiedlichen Interessen der Innen- und der Flächenbezirken in die Quere. Und die FPÖ? Die hat es als Autofahrer- und Raucherpartei leicht, gegen eine autofreie Innenstadt zu sein. Fazit: Die positive Wirkung der Aktion auf Klima und Lebensqualität ist überschaubar, die Geschäftsleute sind verärgert - aber Hebein und Figl haben ihre Marke gestärkt.