Mit dem Ableben Franjo Tudjmans geht eine zehnjährige Ära zu Ende: Kroatiens Staatspräsident führte die ehemalige jugoslawische Teilrepublik nicht nur mit Entschlosseneheit in die Unabhängigkeit, | er lenkte auch die Geschicke des Landes mit eiserner Faust.
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Tudjman wurde am 14. Mai 1922 in dem verschlafenen kroatischen Städtchen Veliko Trgovisce geboren, in jener Gegend, in der auch der spätere jugoslawische Staatschef Josip Broz Tito das Licht der
Welt erblickte. Dessen Partisanenkrieg gegen das faschistische Ustascha-Regime hatte sich Tudjman bereits 1941 angeschlossen, bis er in den Fünfzigerjahren zum jüngsten General der Tito-Ära aufstieg.
Doch schon bald verweigerte er dem Marschall die bedingungslose Gefolgschaft. 1961 schied der Vater von vier Kindern aus dem aktiven Dienst aus, um sich vier Jahre lang dem Studium der Geschichte zu
widmen.
In dieser Zeit · Tudjman wurde außerordentlicher Professor für Politische Wissenschaften und leitete das Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung · entdeckte er die Liebe zum kroatischen
Nationalismus · und seinen Hass gegen den kommunistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien, der, so schien ihm plötzlich, nur ein Ziel verfolgt: das kroatische Volk zu unterjochen. Und daraus machte
Tudjman auch keinen Hehl.
Als er 1967 auch noch die "Deklaration über die kroatische Sprache" unterzeichnete und damit einen Affront gegen Belgrad wagte, wurde es Tito zuviel: Tudjman flog aus der Kommunistischen Partei raus
· der einst linientreue Gefolgsmann, der sich bis zum Generalstab hinauf gearbeitet hatte, wurde zu Titos größtem Widersacher. Auch seinen Direktorenposten verlor er. 1972 wanderte der
Unverbesserliche im Zuge der Niederschlagung des "Kroatischen Frühlings" wegen "konterrevolutionärer Umtriebe" schließlich sogar für zwei Jahre hinter Gitter, 1981, ein Jahr nach Titos Tod, für
weitere drei Jahre.
Gründung der HDZ
Tudjman gab nicht auf: im Februar des historischen Umbruchjahres 1989, mitgerissen von der Aufbruchsstimmung im übrigen Ostblock und mehr denn je getrieben von der Idee eines kroatischen
Nationalstaats rechts-konservativer Prägung gründete er die "Kroatische Demokratische Gemeinschaft" (HDZ), mit der er · noch unter jugoslawischer Ägide · im April 1990 auf Anhieb die absolute
Mehrheit im Zagreber Parlament erreichte; nur 73 der 356 Sitze gingen damals an die Kommunisten. Am 30. Mai ließ sich Tudjman zum Präsidenten der Teilrepublik ernennen. Über den Dächern wehte von nun
an die Fahne des Ante-Pavelic-Regimes von Hitlers Gnaden. Auch die alte Nationalhymne wurde wieder angestimmt.
Mit einer weitreichenden Autonomie wollte sich der aufstrebende Autokrat, der "den tausendjährigen Traum von einen unabhängigen Kroatien" endlich in die Tat umsetzen wollte, aber nicht mehr zufrieden
geben. Ein loser Staatenbund mit Serbien und Bosnien war für ihn nur mehr eine kurze Zwischenstation auf dem Weg zu seinem Endziel, der vollständigen Unabhängigkeit. Die Voraussetzungen dazu schufen
seine HDZ-Mandatare 1990 drei Tage vor Weihnachten mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung.
Im Juni 1991 war es nach einer Volksabstimmung, bei der sich 94 Prozent der Kroaten für eine Loslösung von Jugoslawien aussprachen, dann so weit: Kroatien erklärte sich formell für unabhängig.
Doch Tudjmans Traum ging nicht so schnell in Erfüllung. Der Unabhängigkeitserklärung folgte ein langjähriger Krieg mit der jugoslawischen Bundesarmee um die vorwiegend von Serben bewohnten Gebiete
Ostslawonien und Krajina, in dessen Verlauf die Serben bis zu 30 Prozent des kroatischen Territoriums unter ihre Kontrolle brachten.
Waffenbrüderschaft mit den Serben
Das hielt den Pragmatiker Tudjman, der bei ersten Präsidentenwahlen im neuen Kroatien im August 1992 in seinem Amt bestätigt worden war, nicht davon ab, im Bosnien-Krieg mit Belgrad gemeinsame
Sache zu machen, um seinen Traum eines Groß-Kroatien zu verwirklichen: im Juni 1993 einigte er sich mit der jugoslawischen Führung auf die Grundzüge einer Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas, bei der
den Moslems nur noch einen Rumpfstaat zugebilligt wurde. Tudjmans Offiziere und Soldaten zogen brandschatzend durch bosnische Dörfer und massakrierten tausende Moslems · Männer, Frauen und Kinder.
Mostar gelangte so zur traurigen Berühmtheit. Bei den ethnischen Säuberungsaktionen kam es mitunter auch zu kroatisch-serbischen Waffenbrüderschaften.
Tudjman pfiff die Armee erst zurück, als der UNO-Sicherheitsrat massive Drohungen ausgesprochen hatte. Im März 1994 schließlich stimmte er widerwillig der Gründung einer kroatisch-moslemischen
Konföderation in Bosnien-Herzegowina zu. Tudjman hatte bereits andere Pläne. An seiner tiefen Verachtung für die bosnischen Moslems änderte das freilich nichts.
Tudjmans Frontwechsel
1995 startete unter seinem Befehl der erfolgreiche Feldzug zur Rückeroberung der von Serben besetzten Gebiete. 200.000 Menschen wurden vertrieben. Sich selbst belohnte der kroatische Staatschef
mit neun militärischen Orden: der Siegesrausch beschaffte dem greisen General mit Hang zur Selbstverherrlichung im eigenen Land noch einmal ein Popularitätshoch, das sich allerdings nicht auf
einen Wahlerfolg ummünzen ließ. Seine Partei HDZ verfehlte 1995 bei den eigens vorgezogenen Parlamentswahlen klar die Zwei-Drittel-Mehrheit und auch bei den Kommunalwahlen gewann in Zagreb die
Opposition.
Im Ausland war sein Stern ebenso deutlich im Sinken. Plünderungen, willkürliche Hinrichtungen, gewaltsame Übergriffe auf Zivilisten und zuletzt die brutale Vertreibung der Serben warfen kein gutes
Licht auf den im Westen lange hochgejubelten Ex-General. Dass Tudjman so manche vom UNO-Kriegsverbrechertribunal gesuchte Generäle, die in Bosnien, Ostslawonien und der Krajina ihr Unwesen trieben,
lieber mit Militärorden auszeichnete als sie nach Den Haag auszuliefern, stieß den westlichen Diplomaten auf.
Kritik unerwünscht
Und auch innerhalb seines Herrschaftsgebietes mehrte sich Kritik an seinem autokratischen Führungsstil. Behinderungen der Opposition und eine strenge staatliche Zensur der Medien zählten bis
zuletzt zu Tudjmans Selbstverständnis eines uneingeschränkten Staatsherrschers. 1994 entledigte er sich innerhalb seiner eigenen Partei jener Kritiker, die ihm unbequem wurden. Von den
Parteisäuberungen wurde damals auch Parlamentspräsident Stipe Mesic, lange Zeit enger politischer Weggefährte Tudjmans und einstiger Reformkommunist, erfasst. Der spätere Mitbegründer der
Oppositionspartei "Unabhängige Demokraten Kroatiens" zeichnete damals ein düsteres Zukunftsbild: das Land sei auf dem besten Weg, ein zweites Paraguay zu werden.
Im spektakulären Streit um das Zagreber Bürgermeisteramt machte sich Tudjman bei seinen politischen Rivalen endgültig unbeliebt: Nach seiner beharrlichen Weigerung, deren Kandidaten nach dem Sieg des
Oppositionsbündnisses bei den Kommunalwahlen im Herbst 1995 abzusegnen, löste der einstige Ziehsohn Titos auch dieses Problem in seinem Stil: er ernannte für das Amt kurzerhand eine Person seiner
Wahl. Das Bündnis sei "unannehmbar", die Opposition bestehe ohnehin vorwiegend aus "Dilettanten, die von Politik nichts verstehen", lautete sein Kommentar.
Blühende Vetternwirtschaft, armes Land
Um das Machtmonopol zu erhalten, regierte Tudjman das durch die Kriege wirtschaftlich zerrüttete Land mit eiserner Faust. Sein monolithisches Regime war von Vetternwirtschaft geprägt, die Vergabe
von Posten und Pfründen an politischen Gehorsam geknüpft. Bei der Privatisierung ehemaliger Staatsunternehmen kamen ausschließlich Freunde und ihm ergebene Politiker zum Zug. In Kritikerkreisen
machte das geflügelte Wort von der "Kleptokratie des Tudjman-Clans" die Runde.
Viele wechselten zwischen hohen Posten in der Wirtschaft und der Politik hin und her. Sowohl Ex-Regierungschef Franjo Greguric als auch die Nachfolger Nikita Valentic und Greguric' Schwiegersohn
Zlatko Matesa wurden aus dem größten kroatischen Mineralölkonzern INA rekrutiert.
Parlamentspräsident Vlatko Pavletic, der zur Zeit interimistisch die Staatsgeschäfte führt, verdiente sich seine politische Karriere mit einstigen Freundschaftsdiensten. Er war es, der Tudjman in den
Sechzigerjahren bei der Veröffentlichung seines bis heute umstrittenen historischen Werks half.
Tudjmans Privatjet durfte der Sohn eines ehemaligen Regierungschef fliegen. Vater Hrvoje Sarinic, einer der reichsten Männer Kroatiens und stolzer Schlossbesitzer in Frankreich, hatte zur Behandlung
der Krebserkrankung des Präsidenten ein französische Ärzteteam nach Zagreb einfliegen lassen · unter strikter Geheimhaltung. Medien, die über Tudjmans Krankheit berichteten, wurden, bis sie im
heurigen Sommer nicht mehr zu verbergen war, gemaßregelt.
Familiensilber
Auch die eigene Familie belohnte der am liebsten in historischer weißer Gala-Uniform auftretende "Vater der Nation" mit einflussreichen und gut dotierten Jobs. Sohn Miroslav ist seit Juli dieses
Jahres Geheimdienstchef, dessen Bruder Stjepan und Schwester Nevenka wurden einträgliche Handelsmonopole anvertraut.
Im Oktober 1989 sorgten im Zuge der Offenlegung des Tudjman-Vermögens Indiskretionen einer Bankangestellten für Aufsehen. Die pensionierte First Lady, von der Staatsmann einmal freudig verkündete,
dass sie "weder Serbin noch Jüdin ist", soll im Vorjahr auf ein Sparkonto drei Millionen Schilling deponiert haben. "Solche Summen im Geheimen zu haben · in einem Land, in dem bald Essensmarken
ausgeteilt werden müssen · das schien mir dann doch zuviel", offenbarte die Angestellte. Die Millionen waren im offiziell deklarierten Tudjman-Vermögen nicht aufgeschienen.
Da die politische Elite in Saus und Braus lebte, blieb für das Volk wenig übrig. Das Netto-Durchschnittseinkommen eines Normalbürgers liegt bei umgerechnet rund 4.700 Schilling monatlich,
Pensionisten müssen oft schon mit 1.000 Schilling auskommen. Seit der Einführung der Mehrwertsteuer im Vorjahr mit einem Einheitssatz von 22 Prozent auch auf Grundnahrungsmittel können sich viele
Kroaten kaum mehr leisten als ein Dach über dem Kopf und ein paar Kartoffel Tagesration. Die Arbeitslosigkeit in Kroatien liegt offiziell bei 19 Prozent, die Dunkelziffer sogar bei 30 Prozent.
Europa blieb in weiter Ferne
In Europa blieb das Land unter Tudjmans Führung wegen des unzureichenden Minderheitenschutzes, der massiven Einschränkung der Pressefreiheit und mangelnder Kooperation mit dem Haager
Kriegsverbrechertribunal bis zuletzt politisch isoliert. Zagreb blieb auch aus dem Kreis der EU-Beitrittskandidaten ausgeschlossen. Selbst der Aufnahme in den Europarat Ende 1996, mit der
Tudjman hoffte, seinem Ziel, dem EU- und NATO-Beitritt Kroatiens wenigstens etwas näher zu kommen, waren heftige Debatten vorangegangen.
Die Qual der Wahl(en)
Der ausgebliebene Erdrutschsieg seiner HDZ bei vorgezogenen Neuwahlen im Jahr 1995 hatte Tudjman einen schweren Schlag versetzt. Der Mann, über dessen Krebserkrankung trotz strenger Geheimhaltung
bereits handfeste Gerüchte kursierten, wollte sich künftig auf seine Popularität nicht verlassen.
Ende 1996 kam es mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentenwahlen zu einem Rundumschlag gegen die unabhängigen Medien. Journalisten mußten sich mit Gerichtsverfahren, Polizeischikanen und
Geldstrafen herumschlagen. Hinter der kritischen Presse stünden "ausländische Kreise", die Kroatien destabilisieren wollen, erläuterte Tudjman seine Verschwörungstheorie, "sie haben ihre Tentekel
über die ganze Gesellschaft ausgebreitet".
Das staatliche Fernsehen und die kontrollierte Presse waren leichter auf Linientreue zu trimmen. Dies trug Tudjman zwar Kritik von Seiten der OSZE ein, die ihm Missbrauch der Medien für eigene
Wahlkampfzwecke vorwarf, doch die Repressionen machten sich bezahlt: Bei den Präsidentschaftswahlen im Juni 1997 wurde er mit 61 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt.
1998 wurden die Eingriffe in die Pressefreiheit neuerlich verschärft. Im Februar brachte die Regierung einen Erlass heraus, der das bloße Zitieren regierungskritischer Äußerungen unter Strafe stellt.
Untersagt wurde auch die Veröffentlichung von Wählerlisten. Tudjman, von seiner Krebserkrankung bereits gezeichnet, sah seine Felle neuerlich davonschwimmen.
Im Vorfeld der ursprünglich für den 22. Dezember 1999 geplanten Parlamentswahlen kursierten Klagen über zunehmende Polizeigewalt gegen Bürger. Die Brutalität, mit der Sicherheitskräfte in den
vergangenen Wochen die Hauptstadt durchforstet haben, diene vor allem dazu, die Bevölkerung auf mögliche Repressionen vorzubereiten, falls die Wahlresultate außer Kontrolle gerieten, merkte ein
Vertreter des kroatischen Helsinki-Komitees kritisch an: die letzten Meinungsumfragen hatten einen klaren Sieg der Opposition vorausgesagt. Ob die HDZ nach dem Tod ihres Vorsitzenden noch einmal das
Ruder herumreissen kann, bleibt tatsächlich mehr als fraglich. Tudjman hatte die Geschicke seines Landes mit eiserner Faust gelenkt. Die Knochenarbeit der Demokratisierung überließ er seinen
Nachfolgern.