In Wien sind einarmige Banditen ab Neujahr verboten. Für einen 23-jährigen Häftling kommt das Verbot zu spät.
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Wien. Sein schwarzes Hemd spannt. Der 23-jährige Denim Hamidovic (Name von der Redaktion geändert) erfüllt dieses Klischee des Häfenbruders, der mit jedem Jahr hinter Gittern an Muskelmasse zulegt. Seit drei Jahren sitzt und schwitzt er in der Jugendstrafanstalt im beschaulichen Gerasdorf in Niederösterreich, das im Schatten des Schneebergs liegt.
Drei Jahre wird er hier noch trainieren und kochen. Das ist sein Beruf in der Gefängnisküche. Hamidovic wird dort weiter versuchen, mit seinem früheren Beruf abzuschließen: dem Automaten. "Der Automat war mein Beruf." Er hat ihn hierher gebracht. Besser gesagt, die Spielschulden, die er beim nächtelangen Zocken anhäufte und die Raubzüge danach. Er hat seinen Opfern die Pistole vor die Nase gehalten. Manche hat er körperlich zerlegt.
2010 sorgte eine Studie für Aufsehen, wonach jeder zweite Häftling in Gerasdorf wegen Beschaffungskriminalität in Zusammenhang mit Glücksspiel verurteilt wurde. "Drogensucht und Spielsucht sind die zwei großen Dinge, wenn es um Beschaffungskriminalität geht. Derzeit ist die Drogensucht wieder stärker und wir haben nur drei bis vier Spielsüchtige unter den 78 Insassen. Es ist ein Auf und Ab", sagt Gefängnisleiterin Margitta Neuberger-Essenther. Und was spielen die Betroffenen? "Automaten. Die Nobelcasinogänger haben wir hier nicht."
Bei Hamidovic gingen Drogen und Glücksspiel Hand in Hand. Er spielte, um die Drogen zu finanzieren. Je mehr Schulden er anhäufte, desto mehr spielte er. Wenn der einarmige Bandit nicht half, die Schulden bei skrupellosen Verleihern zu begleichen, wurde er selbst zum Banditen und ging auf Raubzug. Es konnte jeden treffen: den Dealer oder den Spieler neben ihm, der mehr Glück hatte.
Am Anfang hatte Hamidovic viel Glück, sagt er; am Beginn seiner Spielerkarriere mit 16. Damals traf man sich mit den Jungs im Park, kiffte, zog weiter auf die Thaliastraße und nahm einen der verglasten Automatenkabinen in Beschlag; eines dieser "Kabäuschen", die sich vor allem in den Arbeiter- und Migrantenbezirken Wiens in die Häuserzeilen fraßen; Automatenkabinen, die ab Neujahr illegal sind. "Für die Generation nach mir ist das sehr gut, dass die wegkommen", sagt Hamidovic.
Das Märchen vomJugendschutz
Die Wiener Wirtschaftskammer sieht das anders. Sie warnt davor, dass das Glücksspiel ins unregulierte Internet wandert. Bisher habe es einen "strengen Jugendschutz gegeben". Dieser strenge Jugendschutz ging in der Praxis über ein "Ab 18"-Schild an der Tür selten hinaus. Das bestätigten Tests der Arbeiterkammer und das bestätigt Hamidovic. "Ich habe mit 16 begonnen. Ich wurde nie nach einem Ausweis gefragt, kein einziges Mal. Und ich spielte in der ganzen Stadt."
Wie es in den Automatenbuden um den Spielerschutz bestellt war, merkte er, als das Glück nachließ und er auf der Suche nach dem Jackpot immer mehr spielte. "Ich zockte bis zu drei Nächte durch. Wenn der Auszahler kam, fragte er höchstens, ob eh alles o.k. ist und ich etwas zu trinken möchte. Und wenn du ihm nach einem Gewinn fettes Trinkgeld gibst, was ich immer tat, bist du sein bester Freund. Der schmeißt dich nicht raus."
Das Märchen vomMindesteinsatz
Die theoretischen Höchsteinsätze pro Spiel interessierten ihn nicht. Mit ein paar Drückern auf einen speziellen Würfel konnte man den Einsatz pro Spiel auf 12 Euro erhöhen. "Wenn ich verlor, war ich mit sieben Spielen 100 Euro los - in weniger als einer Minute." Verlieren am Automaten ist unspektakulär. Ein "Plopp" und weiter geht’s. Ein Gewinn ist dagegen ein Fest der Sinne. Lichter und Melodien bringen die Glücksbotenstoffe in Wallung. So wird die Saat der Sucht gelegt. "Wenn du gewinnst, ist das ein unglaublich geiles Gefühl."
Andere Gefühle schwanden mit der Zeit. Die zu seiner Frau zum Beispiel. Die Spielsucht kostete ihn seine Ehe. "Ich war ja nie da. Immer am Automaten." Was meint Hamidovic zur These der Verbotsgegner, wonach die Spieler ohne Automaten bloß ins Internet ausweichen? Dorthin, wo Kontrolle laut deren Darstellung noch schwerer ist? "Ich hab das probiert. Aber ich konnte da nie so reinkippen." Wäre er ins Casino ausgewichen ohne die Automaten an jeder Ecke? "So viele Leute passen ins Casino doch gar nicht rein. Da geht man lieber um die Ecke was trinken."
Das Märchen vom nochböseren Internet
Die Zahlen der Spielsuchthilfe sprechen eine klare Sprache: Die mit Abstand größte Suchtquelle ist und bleibt der Automat. Die Probleme mit dem Internetspiel wachsen markant. Die Warnung vor dem Internet, mit dem die Glücksspielkonzerne bei Politikern gegen Automatenverbote lobbyieren, vernachlässigt aber einen wesentlichen Aspekt: die Gemeinschaft. Und die ist in den von Spielsucht am stärksten betroffenen, migrantischen Communities stark ausgeprägt. "Die Peer Groups treffen sich in den Spielhallen. Das ist eine eigene Community." Peer Groups, das sind die Altersgenossen, die Gangs, die Burschen und Mädels in den Parks. "Der vereinsamte Spieler zu Hause ist mir in Gerasdorf nicht untergekommen." Die Automatenkabine ist nicht selten Rückzugsort aus engen, lauten Wohnungen.
Hamidovic verleitete seine Freunde zum Spielen, andere verleiteten ihn. Entsprechend viele Bekannte von früher mit Suchtproblemen hat er. "Da haben Leute ihre Häuser verkauft."
Ein Mann, der die Spielsucht vom Gerichtssaal aus betrachtet, ist der Wiener Bezirksrichter Oliver Scheiber. In der November-Ausgabe des Magazins "Datum" sagt er: "Was uns immer mehr Probleme macht, ist Glücksspiel. Wie viel Tragik da drinnensteckt. Bei Scheidungen hören wir immer öfter: Ich hab‘s nicht mehr ausgehalten, weil er so viel gespielt hat. Und wir kriegen Leute, die wegen Sachbeschädigung angeklagt sind. Die versenken in fünf Minuten 500 Euro, sind wütend und schlagen auf den Spielautomaten ein." "100 Euro pro Minute", sagt Hadimovic. "500 in fünf Minuten", sagt Scheiber. Die Rechnung stimmt; für den, der kassiert. Den Automatenbetreiber. Die Stadt.
Die Stadt Wien hat gut verdient an den Automaten. 45 Millionen spülten die Einnahmen zuletzt in die Kasse. In den Jahren zuvor waren es bis zu 60 Millionen.
Die sozialen Folgekosten, wenn die Mindestsicherung am 5. des Monats bereits am Boden des Automaten liegt, waren in dieser Kalkulation nicht mitgerechnet. Die Kosten, die der Häftling Hamidovic dem Staat verursacht auch nicht.
Hamidovic hätte auch ohne Automaten zu Drogen gegriffen und wäre auf die schiefe Bahn geraten. Aber er ist überzeugt: "Ohne Automaten hätte ich mir ein paar Jahre Knast erspart."