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Der Bahnhof als humanitäres Hilfszentrum

Von Siobhan Geets

Politik
Mütter und Kinder werden hier nicht nur untersucht, sondern auch mit Babynahrung und Vitamin-D-Tropfen versorgt.
© Siobhan Geets

Private Initiativen und die Caritas koordinieren die Versorgung der Ankommenden. Wer helfen will, informiert sich über Soziale Medien.


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Flexibilität, gute Koordination und jede Menge helfende Hände. Auf diesen Säulen steht die Hilfe für ankommende Asylsuchende am Wiener Hauptbahnhof. Hunderte Freiwillige helfen dort Tag und Nacht, verteilen Essen und Getränke, spielen mit den Kindern und übersetzen für die Erwachsenen. "Für mich ist das Menschsein Motiv", sagt Zeynep. Die 17-Jährige hat heuer maturiert und verpasst nun die ersten Lehrveranstaltungen, damit sie mithelfen kann.

Zeynep führt nach dem Weg Fragende direkt zur Fahrradgarage, wo die Initiative "Train of Hope"  ihr Hilfszentrum eingerichtet hat. Hier befindet sich das "Herzstück" der Organisation: "Das Social-Media-Zentrum ist eine der wichtigsten Einrichtungen hier", sagt "Train Of Hope"- Koordinator Julian Pöschl und zeigt auf zwei Tische, von denen aus Freiwillige auf Facebook posten, was gerade gebraucht wird. So auch Montagmorgen, als das Wasser ausging – eine halbe Stunde später brachte ein Unternehmen einen Tonnen-Kanister vorbei. Pöschl hilft nicht nur, Spenden zu akquirieren, er hat auch eine Schlafstelle im nahen Lager der "Erste Bank" ausgehandelt. Allein in der Nacht auf Montag haben dort rund 250 Menschen übernachtet.

"Humanitäre Hilfe für uns selbstverständlich"

Das Hilfszentrum ist äußerst professionell organisiert, die Initiative wächst von Tag zu Tag. Auf Plakaten wird mit post-its festgehalten, wer wann und wofür eingeteilt ist, überall tummeln sich Helfende, dazwischen schläft eine Freiwillige auf einer Pritsche – erschöpft von ihrem Nachtdienst. Seit vergangener Woche gibt es neben der Fahrradgarage eine Krankenstation, die rund um die Uhr besetzt ist und über eine beeindruckende Ausrüstung verfügt. In den Regalen türmen sich Medikamente, die Private gespendet haben, in jeder Ecke stehen Kisten mit Verbandszeug, Windeln, Babynahrung. Maresi ist eine von vielen Ehrenamtlichen, die hier aushelfen. Die Hebamme deutet sichtlich erfreut auf die neueste Errungenschaft, ein Ultraschallgerät ¬– "Train of Hope" kooperiert auch mit der Ärztekammer. Für den Fall, dass Verletzte oder Kranke nicht vor Ort behandelt werden können, steht ein Krankenwagen bereit.

Viele Mütter, die hierherkommen hätten Probleme mit dem Stillen, weil sie selbst völlig dehydriert seien, erklärt Maresi. Eben ist eine Syrerin in der Hebammenstation eingetroffen, Pflegerinnen kümmern sich um ihre zwei Monate alte Tochter. Mütter und Kinder werden hier nicht nur untersucht, sondern auch mit Babynahrung und Vitamin-D-Tropfen versorgt. "Das ist humanitäre Hilfe und für uns Hebammen selbstverständlich", so Maresi auf die Frage, wie sie es schafft, nach ihrer langen Schicht am Wiener AKH noch hierher zu kommen.

Pöschl rechnet damit, dass noch viel mehr Menschen ankommen werden als in den letzten Tagen und Wochen. "Falls sich die Route wirklich ändert und die Menschen dann von Süden kommen, wird die Auslastung am Hauptbahnhof weiter steigen", vermutet er. Wer helfen will, kann sich auf der Facebook-Seite "Train of Hope" informieren, was gerade gebraucht wird.

Familien-Tageszentrum in Parkgarage

Auch die Caritas informiert über Facebook, woran es am Westbahnhof fehlt. Am Montagnachmittag warteten dort mindestens 500 Menschen, darunter viele Kinder. Innerhalb kürzester Zeit hat die Stadt Wien gemeinsam mit der Wiener Flüchtlingskoordination, den ÖBB und den Kinderfreunden in der Parkgarage einen 2500 Quadratmeter großen Spielbereich für Kinder eingerichtet – eine willkommene Ablenkung für viele, die Wien zu Fuß oder mit dem Bus erreicht haben. Seit keine Züge mehr zwischen Budapest und Wien verkehren, laufen die Menschen die Bahngleise entlang, fahren mit dem Bus oder in den Autos privat organisierter Konvois. Für Klaus Schwertner von der Caritas ist es schwer einzuschätzen, wie sich die Situation in den kommenden Tagen und Wochen entwickeln wird. Ab heute, Dienstag, tritt in Ungarn ein Gesetz in Kraft, wonach illegal Einreisende sofort verhaftet werden können, es drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Gut möglich, dass sich die "Balkan-Route" von Ungarn verschiebt: Richtung Norden, also über Tschechien, oder nach Süden, über Kroatien und Slowenien. "Wir stehen vor einer Megaherausforderung", sagt Schwertner, " so viel ist sicher".

"Train of Hope"