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Prorussische Demonstranten rufen inn Donezk eine "souveräne Volksrepublik" aus.| Lawrow und Kerry vereinbaren ein Treffen.
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Donezk/Kiew/Straßburg/Wien. Nach der vorsichtigen Entspannung letzte Woche schrillen in der Krise um die Ukraine spätestens seit gestern, Montag, wieder die Alarmglocken: Dem postsowjetischen Staat am Dnjepr droht nach der Annexion der Halbinsel Krim durch Russland der staatliche Zerfall. Es wird immer fraglicher, ob es Kiew gelingen wird, das Abdriften der russischsprachigen Landesteile im Süden und Osten Richtung Russland zu verhindern.
Nachdem prorussische Demonstranten am Wochenende in den Städten Lugansk, Charkow und Donezk Verwaltungsgebäude gestürmt und russische Flaggen gehisst hatten, kam es am Montag in Donezk, der Machtbasis des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch, zur Ausrufung einer "souveränen Volksrepublik". Die Aktivisten, die das Hauptverwaltungsgebäude des ukrainischen Wirtschaftszentrums besetzt hielten, forderten - ganz wie auf der Krim - ein Referendum über die Aufnahme des für die Ukraine wirtschaftlich so wichtigen Gebiets in die Russische Föderation. Bis spätestens 11. Mai soll eine Volksabstimmung darüber stattfinden. In einem Youtube-Video ist zu sehen, wie die Versammlung der Demonstranten in dem Plenarsaal den Aufruf zum Referendum mit Jubel und lauten "Russland! Russland!"-Rufen begrüßt. Um das Verwaltungsgebäude harrten rund 2000 prorussische Demonstranten aus - teilweise bewaffnet. Die Bereitschaftspolizei war gegen die Aktivisten bereits am Sonntagabend weitgehend machtlos, als diese eine kleine Gruppe von Anhängern der Regierung in Kiew bespuckt und geschlagen hatten. Auch gegen den Sturm des Gebäudes hatten die Sicherheitskräfte nichts unternommen. Nachdenklich stimmt auch, dass die Demonstranten, die in Lugansk das Staatssicherheitsgebäude gestürmt hatten, daraus Waffen erbeutet haben.
Das Geheimdienstgebäude in Donezk wurde hingegen mittlerweile geräumt. Interimspräsident Alexander Turtschinow habe den "Anti-Terror-Einsatz" in der ostukrainischen Millionenstadt persönlich angeordnet, sagte Präsidialamtschef Sergej Paschinski dem Internetportal censor.net.ua am Montagabend.
Auf der mittlerweile russischen Krim sorgte ein Vorfall für Aufsehen: Ein ukrainischer Marineoffizier wurde dort am Sonntagabend von einem russischen Soldaten erschossen. Davor soll es zwischen den beiden offenbar angetrunkenen Männern zum Streit gekommen sein.
Von Moskau orchestriert
Wer hinter dem "russischen Frühling" in der Ukraine steckt, dessen Erwachen auch über Facebook und das auch in der Ukraine populäre russische soziale Netzwerk "V Kontakte" (Im Kontakt) verbreitet wird, darüber gehen die Ansichten auseinander. Der ukrainische Übergangspremier Arseni Jazenjuk betonte am Montag einmal mehr, dass Moskau die Unruhen in der Ostukraine orchestriert. Diese seien "Teil eines Destabilisierungsplans, damit eine fremde Armee die Grenze überschreitet und in ukrainisches Territorium einmarschiert", sagte Jazenjuk auf einer Kabinettssitzung. "Das Drehbuch ist von der Russischen Föderation geschrieben, und das einzige Ziel ist die Zerstückelung der Ukraine." Jazenjuk entsandte wegen der Krise seinen Stellvertreter Vitali Jarema in die Region.
Auch Politologen in Kiew vermuten bereits seit längerem, dass die prorussischen Demonstrationen im Süden und Osten der Ukraine von "Provokateuren" aus Russland organisiert werden. "Nachdem die Ukraine die Grenze zu Russland schärfer kontrolliert hat, dürften sogar über den Umweg über Polen russische Polit-Aktivisten in die Ukraine eingeschleust worden sein", sagte Mykhaylo Banakh von der International Renaissance Stiftung des Milliardärs George Soros in Kiew der "Wiener Zeitung" bereits vor Wochen. Sie würden die Führung bei den Protesten gegen die Regierung in Kiew übernehmen. Jazenjuk sprach von rund "1500 Radikalen" in jeder der südöstlichen Regionen. Diese würden mit russischem Akzent sprechen und von ausländischen Geheimdiensten dirigiert.
Dass der "Russische Frühling" nur ein Politprojekt des Kremls ist, das in der Ukraine auf keinerlei Resonanz stößt, ist allerdings auch schwer zu glauben - zumal die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine kurz nach dem Umsturz in Kiew durch die Rücknahme des von Janukowitsch verabschiedeten Sprachengesetzes, das Minderheitensprachen wie Russisch, Ungarisch und Rumänisch mehr Rechte gab, verärgert wurde. Aufrufe, den Kampf gegen die "Faschisten" und "Banderovzy" - die Anhänger des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera, der mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatte - wieder aufzunehmen, dürften bei manchen im Süden und Osten durchaus auf Zustimmung stoßen. In den sozialen Netzwerken ist unter den ukrainischen Prorussen - oder unter den Russen, die sich als Ukrainer ausgeben? - derzeit jedenfalls "der Bär los". Bilder mit furchterregenden russischen Bären und dem Schriftzug "Ihr habt ihn aufgeweckt!" werden verbreitet, und meist zieren Assoziationen an den "Großen Vaterländischen Krieg", wie in Russland der Zweite Weltkrieg genannt wird, die Bilder. Die Botschaft ist klar: Wie damals, so muss auch heute die Ukraine von den "Faschisten" befreit werden.
Ob dazu auch die russische Armee antreten wird, ist offen. Tschechiens Präsident Milos Zeman, der bisher nicht gerade als oberster Russlandkritiker aufgefallen ist, befürwortet in diesem Fall jedenfalls eine schroffe Reaktion des Westens: Wenn Russland weiter expandiert, würde er die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine begrüßen, sagte Zeman. So weit würde die deutsche Kanzlerin Angela Merkel freilich nicht gehen. Aus ihrer Enttäuschung über das Vorgehen von Präsident Wladimir Putin machte aber auch sie keinen Hehl: Russlands Truppenrückzug sei "noch nicht sichtbar umgesetzt".
Gespräche Russland - USA
Am Montagabend haben sich die USA und Russland nach Angaben aus Washington auf direkte Gespräche über die Lage in der Ukraine geeinigt. An dem Treffen innerhalb der nächsten zehn Tage sollten auch Vertreter der EU und der Ukraine teilnehmen, teilte das US-Außenministerium mit.
Außenminister John Kerry habe seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow in dem Gespräch dazu gedrängt, sich von "Separatisten, Saboteuren und Provokateuren" zu distanzieren, hieß es weiter. Diese Aktionen seien anscheinend keine "spontane Reihe von Ereignissen", habe Kerry gesagt, sondern eine "orchestrierte Kampagne mit russischer Unterstützung".