Der Friedensforscher und Völkerrechtler Gerd Hankel über Syrien, irreführende juristische Begriffe und die Abgrenzung in Kriegs- und Konfliktzonen.
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"Wiener Zeitung": Jeder Begriff scheint zu harmlos für die Gräueltaten, die den Menschen in Syrien angetan werden. Versuchen wir es trotzdem: Ist es Völkermord, ein Massaker oder Massenmord?Gerd Hankel: In Syrien geschieht, sofern es sich gezielt gegen die Zivilbevölkerung richtet, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit - ein ausgedehnter oder systematischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung. Außerdem geschehen dort Kriegsverbrechen, weil das Recht zum Schutz von Kombattanten und Zivilbevölkerung oft gezielt missachtet wird.
Wann spricht man von Völkermord, wann von einem Massaker?
Ein Massaker kann Teil eines Völkermords sein. Ein Völkermord ist juristisch nur dann gegeben, wenn eine bestimmte Gruppe vernichtet werden soll - eine nationale oder ethnische Gruppe. Das Massaker hingegen ist das klassische Kriegsverbrechen. Die Grenzen der Begrifflichkeiten sind oft fließend, sorgen aber bei der juristischen Aufarbeitung für Unmut. Beispiel: Eine Tutsi-Frau in Ruanda wird getötet, fünf Minuten später wird eine Hutu-Frau auf dieselbe Weise ermordet. Weil die Völkermörder aber die Tutsis beseitigen wollten, gilt der Mord an der Tutsi als Völkermord, der Mord an der Hutu ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Geht es um die juristische Aufarbeitung, ist der Völkermord das schlimmste Verbrechen. So sind Völkermordopfer in der öffentlichen Wahrnehmung gewissermaßen privilegiert, wenn es um Unterstützungsleistungen geht. Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekommen nichts.
Sollte es den Begriff Völkermord also besser nicht geben?
Der Völkermordbegriff, den es erst seit 1948 durch die UN-Völkermordkonvention gibt, hat mehr Unheil in die Welt gebracht, mehr Unfrieden. Man muss sehr vorsichtig damit umgehen und von der Vorstellung wegkommen, dass der Völkermord das schlimmste aller Verbrechen ist. Ich sehe keinen Unterschied zwischen ethnischer Säuberung, einem Massaker an tausenden von Menschen und einem Völkermord. Was die Schwere des Verbrechens anbelangt, ist das für mich identisch. In der öffentlichen und juristischen Wahrnehmung ist es das nicht. Da zählt das "Crime of Crimes". Ich halte das für verhängnisvoll.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen hört sich nicht so schlimm an wie Völkermord.
Weil durch die Feststellung von Unrecht durch Gerichtsurteile historische Wahrheiten, leider oft auch Scheinwahrheiten, festgeschrieben werden. Die Reputation von all diesen Fällen rührt von den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg. Unbestreitbar ein Erfolg, aber längst nicht bei allen Versuchen der Vergangenheitsaufarbeitung. Man macht sich immun gegen Kritik, wenn man immer wieder auf Nürnberg verweist und im Schatten von Nürnberg die größten Verbrechen und Missverhältnisse verschweigt oder politisch instrumentalisiert.
Gibt es eine Chance für die Menschen in Syrien, jemals wieder friedlich zusammenzuleben?
Irgendwann wird das bestimmt der Fall sein. Die Frage ist wann und wie viele Menschen bis dahin noch sterben müssen. So lange eine Seite die Möglichkeit des Sieges sieht, wird es so schnell keinen Frieden geben. Es gibt aber auch nur dann Frieden und eine Aufarbeitung dessen, was geschehen ist, wenn man das auf eine ehrliche und transparente Weise macht, sich nicht eine Seite durchsetzt und allen anderen ihre Wahrheit aufoktroyiert. Entweder man legt den Mantel des Schweigens über das, was geschehen ist - wir wissen aus Lateinamerika, das das nicht funktioniert, die Vergangenheit kommt immer wieder hoch. Oder man versucht, das konstruktiv anzugehen. Dann sollten aber auch alle Wahrheiten, alle Opfer an den Tisch und nicht nur eine. Sonst schafft man nur neues Unrecht.
Zur Person
Gerd Hankel,
geboren 1957 in Büderich bei Wesel, arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung. Der Jurist untersucht seit 2002 den Völkermord in Ruanda. Eben erschien sein Buch "Ruanda: Leben und Neuaufbau nach dem Völkermord" (Klampen Verlag, 487 Seiten, 24,80).