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Mit Karte oder per App bezahlen ist praktisch - doch dahinter steckt das große Datensammeln, sagt der Ökonom Norbert Häring.
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Bargeld wird rarer in unserem Alltag - in unseren Geldbörsen finden sich kaum noch Scheine und Münzen, dafür immer mehr Karten. Aber auch diese dürften bald Geschichte sein. Das Smartphone wird zum digitalen Schweizer Taschenmesser. In Schweden werden bereits das Obdachlosenmagazin auf der Straße mit Kreditkarte und die Kirchenkollekte per App bezahlt. Auch deutsche wie österreichische Banken beginnen mit dem Angebot, Karten gegen Apps zu tauschen - ist digitales Bezahlen die Zukunft des Geldes? Ja, wenn es nach den Konzernen der IT- und Finanzbranche und den Regierungen geht, sagt Norbert Häring. Der Ökonom und Wirtschaftsjournalist hat mit der "Wiener Zeitung" darüber gesprochen, warum er in den globalen Bestrebungen, das Bargeld abzuschaffen, die Gefahr einer Totalüberwachung sieht.
"Wiener Zeitung": Wien im Jahr 2025: Norbert Häring geht zum Würstelstand. Wie wird er bezahlen - bar, mit Karte oder per App?Norbert Häring: In Wien mit Bargeld. Wenn Sie Stockholm gesagt hätten, dann würde ich sicher keine Wurst bekommen.
In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie die Zukunft des Geldes. Es geht in Richtung Weltwährung: digital, schnell, unkompliziert. Das klingt doch praktisch.
Das ist sehr praktisch. Und das ist auch der Haken an der Sache. Diese Vorteile sind im Verhältnis aber immer sehr klein. In den Amazon-Läden gibt es etwa keine Kassen mehr, die Produkte werden automatisch abgerechnet, wenn die Kunden sie aus dem Regal nehmen. Das geht aber nur mit immenser Bewachungstechnologie. Das ist praktisch - man spart vielleicht zwei Minuten. Diese zwei Minuten erkauft man sich aber mit totaler Überwachung, solange man sich im Laden befindet. Diese Daten werden zudem dauerhaft gespeichert.
Inwiefern betrifft diese Überwachung das bargeldlose Zahlen?
Das digitale Bezahlen geht einher mit einer Überwachungstechnologie. Die Akteure, die das vorantreiben, sind extrem darauf erpicht, Leute genau identifizieren zu können. Sie wollen genau wissen, wer bezahlt. Da werden Gesichtserkennung und andere biometrische Daten eingesetzt. Diese Technologie geht mit vermehrter Kameraüberwachung einher. Das heißt, das führt in eine totale Überwachung, wie wir sie in China und in starken Ansätzen auch in Großbritannien heute schon sehen können. Wo an jeder Ecke eine Kamera ist, zunehmend mit Gesichtserkennung, sodass man sich auch im Alltag nicht mehr bewegen kann, ohne aufgezeichnet und erkannt zu werden. Digitales Geld ist also letztlich Geld, über das jemand anderer Kontrolle hat. So konnte etwa der Iran bei der Deutschen Bundesbank sein Geld nicht abheben. Und in China sehen wir bereits, wo das hinführen soll. Hier wird systematisch vorbereitet, dass kein Chinese einen Kredit bekommt, wenn er kein braver Bürger ist.
Durch das digitale Bezahlen sollen also möglichst viele Daten über Kunden gesammelt werden, um damit Geld zu machen?
Es gibt drei Ebenen: Einerseits geht es darum, dass die Finanz- und IT-Branche an digitaler Zahlung verdient. Sie wickeln diese ab und bekommen ihren Schnitt. Zweitens erhalten sie Daten, die sie auch wieder zu Geld machen können, indem sie sie verkaufen oder selbst nutzen, um genauer zu wissen, wer wir sind, was man uns verkaufen kann, ob wir vertrauenswürdig sind. Die dritte Ebene ist die Überwachung. Die Regierungen sind alle daran interessiert, ihre Bürger besser zu kennen. Die Datenschutzrechte sind ja Freiheitsrechte, die im Wesentlichen auch gegen Übergriffe des Staates schützen sollen. Das beinhaltet bereits die Spannung, dass Regierungen ein Interesse daran haben, den Datenschutz möglichst kleinzuhalten. Und die Volksvertreter sind es, die dagegenhalten müssen. In Washington gibt eine Regierung, die da besonders engagiert ist. Ihre Geheimdienste haben sowohl die Möglichkeiten als auch die Ambitionen, diese Überwachung weltweit zu betreiben. Wenn alles nur noch digital ist, können Computer in den Vorstädten von Washington, wo die CIA und die NSA sitzen, alles, was in der Welt passiert, zentral aufzeichnen und analysieren, ohne die Räume dort verlassen zu müssen. Bargeld macht einen dagegen unsichtbar für diese Art der Überwachung. Und die Finanzbranche verdient nichts daran. Das erklärt, warum es diese große Koalition von Regierungen und großen Konzernen gibt.
Für mein Online-Konto zahle ich weniger Gebühren und im Ausland kann ich ohne Gebühr mit Karte zahlen - für Bar-Abhebungen zahle ich aber mitunter. Digital scheint günstiger . . .
Es ist jetzt schon nicht gratis. Man zahlt ja auch für Karten. Es ist insgesamt aber sehr intransparent, was man genau bezahlt - und überall anders. Wenn man in Stockholm mit einer ausländischen Kreditkarte essen geht, kann es durchaus auch teurer werden, als wenn sie sich dafür Bargeld geholt hätten. Ich will auch gar nicht abstreiten, dass es praktischer ist, wenn man sich nicht um ausländisches Geld auf Reisen kümmern muss. Das ist wie mit Auto und Fahrrad: Wenn ich weiter fahren will, dann ist das Auto praktischer als das Fahrrad. Aber wenn deshalb jemand auf die Idee kommt, Fahrräder zu verbieten, dann ist das einfach verrückt.
Kriminelle nutzen die Anonymität des Bargeldes. Wegen der Schattenwirtschaft entgehen dem Staat etwa Milliarden an Steuern.
Die Strategie ist es, Barzahlung immer schwieriger und unbequemer zu machen. Es gibt immer neue Regeln, angeblich gegen Geldwäsche, sogar Terrorfinanzierung - da ist nichts zu groß. Diese machen es für Banken immer teurer und komplizierter, mit Bargeld umzugehen. Die wollen das dann nicht mehr - und geben einem auch kein Bargeld mehr. In Schweden ist das schon krass, da muss man teilweise bis zu 50 Kilometer fahren, um ein Geschäft zu finden, dass Bargeld nimmt. Natürlich ist digital bezahlen viel praktischer, wenn ich eine Weltreise unternehmen muss, um bar zu zahlen.
In Schweden ist die Zahl der Banküberfälle stark zurückgegangen, seit viele Banken keinen Barzahlungsverkehr mehr betreiben.
An all diesen Argumenten ist etwas dran, aber sie werden alle zu weit getrieben. In Schweden ist auch die Internetkriminalität im gleichen Umfang explodiert, wie die digitalen Zahlungen angestiegen sind. Jetzt stehlen Hacker das Geld - natürlich wird da
keiner umgebracht. Leute werden aber auch aus anderen Gründen getötet. Es gibt nach wie vor Einbrüche, um Schmuck zu stehlen. Nach der Logik könnte man auch das Autofahren verbieten - da sterben um Potenzen mehr Menschen als bei Banküberfällen. Auf die Idee kommt aber keiner. Es wird stattdessen daran gearbeitet, das Auto sicherer zu machen, etwa mit einem Airbag - und das könnte man im Finanzbereich auch. Etwa bei Sprengungen von Geldautomaten könnten die Geldscheine mit Farbe unbrauchbar gemacht werden - aber das wird nicht gemacht.
Weniger Bargeld würde die Kriminalität nicht eindämmen?
Bargeld eignet sich für die großen Steuerhinterzieher und Steuervermeider, wie Apple und Co, nicht. Das läuft digital über Banken - und zwar schon immer. Die EU-Kommission hat erst im Juni einen Abschlussbericht veröffentlicht, weil sie den Auftrag hatte, über Bargeld-Obergrenzen in der Eurozone nachzudenken. Die in Auftrag gegebenen Studien haben untersucht, inwiefern das Terrorfinanzierung und Steuerhinterziehung bekämpfen könnte. Das Ergebnis: Eine Obergrenze würde nur die kleine Steuerhinterziehung bekämpfen und gegen Terrorfinanzierung überhaupt nichts ausrichten. Das sind aber immer genau die Argumente, die die EU-Kommission bisher angeführt hat.
Wären Kryptowährungen keine Alternative für anonyme Zahlungen?
Die bieten nur Pseudonymität. Man wird mit einer Nummer registriert, von der man zunächst nicht weiß, wer das ist. Die Geheimdienste sagen aber schon lange, sie kriegen das raus, wenn sie das wissen müssen. Wohingegen beim Bargeld nichts registriert wird, was nachverfolgt werden kann. Und für einen normalen Menschen, der über Bitcoin- oder Kryptobörsen handelt, ist das sowieso nicht anonym, denn der muss Namen und Adresse hinterlegen. Und das macht es für diejenigen, die das einsehen können, noch viel transparenter als bei anderen digitalen Zahlungsmöglichkeiten. Weil in der gesamten Blockchain jede Transaktion unveränderlich gespeichert ist. Wer den Namen einer Nummer einmal kennt, kann alle Transaktionen einsehen. Bei manchen Blockchains ist zudem bekannt, dass die Geheimdienste bei der Entwicklung dabei waren. Wer Bitcoin entwickelt hat, weiß man ja auch nicht - gewisse Skepsis ist also angebracht.
Bitcoin hat den Ruf, die Alternative zum Finanzsystem zu sein.
Auf technische Lösungen für gesellschaftlichen Probleme zu setzen geht immer schief. Das ist ein Trojanisches Pferd. Das Establishment der Finanzbranche ist in der Kryptoszene selbst aktiv. Das passt nicht so richtig. Die Creme de la Creme ist immer ganz vorne mit dabei, wenn es um neue Anwendungen geht. Denn wenn die Machtverhältnisse so sind, wie sie sind, dann wird das mit Sicherheit gegen uns Bürger verwendet. Die Mächtigen in der Finanzbranche und Politik werden es nicht zulassen, dass so ein einfaches technisches Mittel gegen sie verwendet wird. Das werden sie unter Kontrolle bringen. Da muss politisch daran gearbeitet werden, dass sich diese Machtverhältnisse ändern.
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