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Der Berg ruft!

Von Bernd Vasari aus Brüssel

Wirtschaft
Bis 2050 müssen die Treibhausgas-Emissionen aus dem europäischen Verkehr um 90 Prozent reduziert werden.
© getty images / James O’Neil

Wenn die nachhaltige Überquerung der Alpen nicht gelingt, ist der Green Deal gescheitert. 20 Bahnprojekte zwischen Marseille und Wien zeigen nun, wie es gehen könnte.


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Stoßstange an Stoßstange. Auspuff an Auspuff. Die Durchquerung der Alpen steht für nervenaufreibende Fahrten im Tempo eines Schlafwandlers. Es sind Fahrten, bei denen Jahr für Jahr Tonnen an CO2-Abgasen in die idyllische Umwelt geblasen werden.

Der Brenner zwischen Italien und Österreich ist so ein Ort, bei dem dieses Szenario jedes Mal aufs Neue zur bitteren Realität wird. In den vergangenen Sommermonaten stieg der Verkehr sogar auf neue Höchstwerte. Mehr als 3,9 Millionen Pkw und knapp 611.000 Sattelschlepper sowie Lkw-Züge verzeichnete die Mautstelle Schönberg auf der Brenner-Autobahn zwischen Anfang Juli und Ende September. In den Sommermonaten des Vor-Corona-Jahrs 2019 waren es noch um 700.000 Autos und um 4.000 Lkw weniger.

Dabei sollte diese Entwicklung nicht nur gestoppt, sondern schleunigst umgekehrt werden. Denn bis 2050 müssen die Treibhausgas-Emissionen aus dem europäischen Verkehr um 90 Prozent reduziert werden. Darauf einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten und die Kommission mit dem Green Deal. Die Reduktion ist ein wichtiger Bestandteil, um die Klimaziele der EU zu erreichen: Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden.

Eine wesentliche Rolle zur Erreichung der Klimaziele spielen dabei die Alpen. Wenn die nachhaltige Überwindung des 1200 Kilometer langen Hochgebirges zwischen Marseille und Wien nicht gelingt, ist der Green Deal gescheitert.

Die sieben Alpenländer Österreich, Frankreich, Deutschland, Slowenien, Italien, Schweiz und Liechtenstein sowie 48 Regionen dieser genannten Staaten mit insgesamt mehr als 80 Millionen Einwohnern im Alpenraum sind nun gefordert, ein nachhaltiges Verkehrssystem auf die Beine zu stellen.

Bei der europäischen Woche der Regionen in Brüssel trafen sich nun Vertreter der Alpen-Regionen und Staaten sowie die europaweite Aktionsgruppe "Mobilität" der sogenannten "Alpenraumstrategie EUSALP". Die EUSALP wurde vor fünf Jahren auf Initiative der Alpenregionen ins Leben gerufen. Sie dient als Austausch-Plattform und Ort der Zusammenkunft. Neben dem Alpenraum gibt es mit der Ostsee-, Donau- und dem Adriaraum noch drei weitere makroregionale EU-Strategien.

In Brüssel präsentierte die EUSALP nun 20 besonders nachhaltige Projekte, die einen wesentlichen Beitrag zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene leisten und dafür ausgezeichnet wurden. Die "Wiener Zeitung" war dabei und liefert einen Überblick:

  • Comodalce in Koper: Multimodale Logistik

Zehn Projektpartner aus Deutschland, Italien, Slowenien, Ungarn und Polen tauschen ihre Daten und Erfahrungen aus, um den Güterverkehr zwischen Hafen und Bahn zu beschleunigen und die Transportkosten zu verringern. Der slowenische Hafen Koper entwickelt dabei ein digitales System, das die Nutzung des Schienennetzes im Hafen optimiert. Die Erkenntnisse des Pilotprojekts sollen in den gesamteuropäischen Güterverkehr fließen und den Transport nachhaltiger machen.

  • Drei Alternativen mit der Bahn nach Triest

Entlang der historischen Südbahn-Route von Wien über Graz, Maribor und Ljubljana (8 Stunden) gelangt man nun genauso in die italienische Hafenstadt, wie von Wien über Klagenfurt, Villach und Udine (7 Stunden) sowie von Salzburg über Villach und Udine (5 Stunden).

  • Smartlogi: Grenzüberschreitende Fracht

Italien und Österreich kooperieren bei diesem grenzüberschreitenden Projekt. Auf der Grundlage von Machbarkeitsstudien und mithilfe von Pilotaktionen soll der Bahngüterverkehr zwischen den beiden Ländern zu einer echten Alternative zum Lkw-Transport werden. Der Fokus liegt auf den zwei Hauptverkehrsachsen Brenner und Tarvisio.

  • Ein Tunnel zwischen Schweiz und Italien

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es bereits Pläne zur Verbindung der verschiedenen Bahnlinien in der Region Rätisches Dreieck in Österreich, Italien und der Schweiz. Die Pläne wurden jedoch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wieder verworfen. Erst in den 1990er Jahren nahm man die Idee wieder auf und begann mit der Umsetzung. Der Bau des Vereinatunnels, die Reaktivierung der Bahn im Vinschgau Tal und nun die Elektrifizierung der Vinschgauer Talbahn. Als Nächstes soll ein Tunnel gebaut werden, der die italienische Seite der Vinschgaulinie mit der Schweizer Seite der Vereinalinie verbindet.

  • Die Pyhrn-Schober-Achse als Schnellverbindung

Die Steiermark ist eine der Alpenregionen mit der schlechtesten Zugänglichkeit zu seinen Wirtschaftspartnern in Nordwesteuropa. Das gilt insbesondere für die Schiene. Der österreichische Teil des alpinen Westbalkan-Korridors besteht aus der Tauern- und Phyrn/Schober-Achse. Innerhalb dieses Korridors, an der Grenze zwischen Steiermark und Oberösterreich ist der Bosrucktunnel, derzeit ist er ein Flaschenhals mit steil südlicher Rampe. Sie ist nicht geeignet für schwere Güterzüge. Das soll sich nun ändern. Bis 2040 planen die ÖBB einen neuen Bosrucktunnel.

  • Alp Transit Süd: Von Genua nach Rotterdam

Das Projekt AlpTransit Süd betrifft den südlichen Zugangsabschnitt des neuen Schweizer Alpentransits (NEAT) und seiner Verbindung zum italienischen Schienennetz. Das Großprojekt soll zur Verbesserung des Eisenbahn-Transitverkehrs in Nord-Süd-Richtung dienen, um eine Verlagerung des Schwerverkehrs von der Straße auf die Schiene zu erreichen. Das Projekt umfasst den Bau eines 26,2 km langen Tunnels. NEAT ist ein wichtiges Vorhaben auf der europäischen Entwicklungsachse von Rotterdam nach Genua, die in der EU-Verkehrsplanung als TEN-V bzw. Güterverkehrskorridor Nr. 1 (Rhein-Alpen-Korridor) bezeichnet wird.

  • Über den Fernpass mit der Bahn

Die Tiroler Region Außerfern mit seinen 33.000 Einwohnern ist ein beliebtes Touristenziel. Sie liegt zwischen den deutschen Landkreisen Oberallgäu, Ostallgäu und Garmisch-Partenkirchen im Norden und den österreichischen Landkreisen Landeck und Imst im Süden. Die Verbindung bildet derzeit die staugeplagte Fernpassstraße B179. Die geschätzte Fahrzeit mit dem Auto (1:28) ist trotzdem deutlich kürzer als mit der Bahn (2:22) oder mit dem Bus (1:52). Die ÖBB und das Land Tirol planen eine Bahntrassenführung auf drei Korridoren vom Ehrwalder Becken in das Inntal.

  • Zwischen München Ost und Markt Schwaben

Die rund 21 km lange Strecke von München Ost bis Markt Schwaben soll viergleisig ausgebaut werden. Das Ziel ist eine Erhöhung der Linienleistung für die S-Bahn und den anderen Schienenverkehr auf der München/Mühldorf Hauptstrecke. Die Maßnahme entlastet auch die stark belastete Strecke von München nach Rosenheim. Die Umsetzung ist für das Ende geplant der 2030er Jahre. Darüber hinaus gibt es 43 weitere Maßnahmen im "Bahnausbau-Region-München"-Programm.

  • Von Venedig und Padua in die Dolomiten

Bei dem Projekt handelt es sich um den Bau einer Bahnverbindung, die den bestehenden Abschnitt ab Calalzo (Venetien) verlängert. Die Dolomitenregion mit Cortina d’Ampezzo auf auf der einen Seite und Auronzo di Cadore auf der anderen Seite wären damit mit Venedig und Padua verbunden. Die neuen Abschnitte von Calalzo nach Cortina sind 30,6 Kilometer sowie von Calalzo nach Auronzo 15,5 Kilometer lang.

  • Zur Arbeit im Bahnnetz der Dolomiten

Der Bau einer neuen Eisenbahnverbindung zwischen den Städten Feltre und Primolano schließt das Bahnnetz in den Dolomiten. Das Netz umfasst die Region mit den Städten Belluno, Feltre, Trient, Bozen, Bruneck, Brixen, Calalzo, Cortina und Auronzo di Cadore. Vor allem Pendlern soll damit ein Angebot gemacht werden, um von der Straße auf die Schiene umzusteigen.

  • Stündlich zwischen Graz und Maribor

Zwischen den Regionen Graz und Maribor besteht ein reger Austausch. Mehrere tausende Sloweninnen und Slowenen haben ihren Arbeitsplatz in Österreich. Die Gegend um Maribor ist wiederum ein beliebtes Ausflugsziel für Österreicherinnen und Österreicher. Derzeit gibt es zwei direkte Zugverbindungen pro Tag in jede Richtung, Fahrzeit etwa 1 Stunde. Anschlüsse mit Regionalzügen dauern noch länger. Aufgrund der unterschiedlichen Stromversorgungs- und Signalsysteme zwischen den beiden Ländern ist allein das Grenzverfahren langwierig. Ziel ist nun die Etablierung eines stündlichen direkten Inter-Regio-Bahnverkehrs. In einer ersten Phase (ab 2023) ist eine Bahnverbindung alle zwei Stunden geplant. Die zweite Phase mit dem Stundendienst ist ab 2025 geplant. Die künftige Fahrzeit soll bei 45 Minuten liegen.

  • Crossmoby: Italien und Slowenien

Das Projekt Crossmoby hat das Ziel, die öffentlichen Verkehrsmittel auf der Zugverbindung entlang der Achse Udine - Triest - Ljubljana zu verbessern. Vier Crossmoby-Züge pro Tag wurden als Pilotprojekt im September 2018 gestartet und mittlerweile aufgrund des Erfolgs in einen ständigen Dienst umgewandelt.

  • Bodensee-S-Bahn: Lindau - Bregenz - Romanshorn

Auf der Strecke vom Schweizer Romanshorn über Rorschach, Bregenz bis Lindau wechselt sich künftig eine langsamere S-Bahn mit dem schnelleren Eurocity von Zürich nach München ab. Die Strecke wird dabei stündlich befahren. Darüber hinaus werden Anschlusszüge zu mehreren anderen bedeutenden regionalen Zielen, wie nach St. Gallen, Konstanz, mehreren Städten in Vorarlberg, dem deutschen Friedrichshafen, Memmingen und München angeboten. Ab 2022 gibt es täglich acht Verbindungen in jede Richtung, das Ziel sind jedoch bis zu 11 tägliche Verbindungen. Damit soll die Erreichbarkeit per Bahn im gesamten grenzüberschreitenden Bodensee-Gebiet mit über einer Million Einwohnern konkurrenzfähig sein.

  • Trockenhafen Villach-Fürnitz

Der Container Terminal wird ausgebaut und zu einem international sichtbaren Standort entwickelt. Vorgesehen sind Investitionen in der Infrastruktur, um künftigen Marktanforderungen hinsichtlich Umschlagmengen und Kundenanforderungen gerecht zu werden. Zudem soll ein Forschungs- und Ausbildungszentrum entstehen mit Schwerpunkt Logistik und engem Bezug zur Praxis. Der Trockenhafen lebt von der Zusammenarbeit mit dem Hafen Triest. 80 Prozent aller Bahntransporte, die vom Hafen Triest getätigt werden, führen nach Kärnten. Über Villach reisen die Waren nach Österreich, Deutschland, Luxemburg, Ungarn und Tschechien weiter.

  • Vom Cargo Center Graz nach China

Auch Graz setzt mit dem Cargo Center auf Logistik mit Verbindungen zu den Häfen Triest und Koper sowie Hamburg, Bremerhaven, Rotterdam und Antwerpen. Der Logistikhafen wird ebenso modernisiert und ausgebaut. Zuletzt haben das Cargo Center Graz und die ÖBB Rail Cargo Group den ersten Zug mit Non-Food-Gütern aus China in Empfang genommen. Es handelte sich um einen Ganzzug, beladen mit nicht verderblichen Waren wie Entsaftern, Glasschüssel-, Wäschekorbsets, Getränkehalter und T-Shirts. Bestimmt sind die Waren für eine Handelskette. Der Zug umfasste 41 Stück 40-Fuß-Container. Bei den ÖBB sprach man von einer nachhaltigen End-to-end-Logistik von China bis Österreich. Laut dem Bahnunternehmen sei die Rail Cargo Group mit über 700 Zügen täglich in jede Richtung auf der sogenannten Neuen Seidenstraße, Variante Bahn, unterwegs.

  • Doppelgleisig von Parma nach La Spezia

Die Bahnstrecke La Spezia - Parma soll zunehmend auch als Transportstrecke genutzt werden. Der an der Strecke liegende Hafen La Spezia wird an Bedeutung zunehmen und gemeinsam mit den Häfen in Livorno und Genua die Brücke zwischen Nordeuropa und Nordafrika bilden. Um die Mengen zu stemmen, werden die Gleise entlang der Strecke verdoppelt.

  • Mit dem Schnellzug von Genua nach Marseille

Die Bahnverbindungen auf der Achse zwischen Genua und Marseille werden ausgebaut, um etwa den Einsatz von Schnellzügen zu gewährleisten. Einzig die einzigartige Aussicht auf das Mittelmeer wird unter der Modernisierung leiden. Während die ursprüngliche, einspurige Strecke entlang der Küste verlief, befindet sich die zweigleisige Ausbaustrecke in den Tunneln dahinter.

  • Zukunftsfit im Herzen Frankreichs

Die Valence-Briançon-Bahn und die Straßenanbindung von Briançon zum Bahnhof Oulx sind das Rückgrat der Verbindung zwischen Lyon und Turin. Nun soll die Bahnstrecke modernisiert werden, um Leistung und Geschwindigkeit der Züge zu erhöhen, damit die Bahn konkurrenzfähig zur Straße wird. Im Fokus steht dabei der Bahnknoten Veynes in der Nähe von Grenoble.

  • Mit der Bahn in die italienischen Bergdörfer

Die Städte Cuneo und Ventimiglia sind durch eine italienische Eisenbahnlinie verbunden, die zwischen Piène und Vievola auf französischem Territorium fährt. Diese Besonderheit führte zu einer chronischen Unterfinanzierung der Bahn, weil sich niemand zuständig fühlte. Die Folgen waren eine Reduktion der Geschwindigkeit von 80 auf 40 km/h und damit eine Verlängerung der Fahrzeit. Nun soll die Linie saniert werden.

  • München weitet Öffi-Ticket auf das Umland aus

Der Großraum München ist stark verkehrsbelastet. In den vergangenen Jahren hat sich das Problem sogar verschärft. Jeden Tag pendeln hunderttausende Berufstätige in die bayrische Landeshauptstadt. München ist auch der Knotenpunkt von zwei wichtigen Transeuropäischen Netzen (TEN-V-Korridore: Rhein - Donau und Skandinavien - Mittelmeer). Bislang gibt es keinen gemeinsamen Verkehrsverbund zwischen der Stadt München und den ländlichen Alpenraum. Das soll sich nun ändern. In Zukunft können Passagiere mit einem einheitlichen Ticket die öffentlichen Verkehrsmittel großflächig nutzen.

(Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise auf Einladung der EU-Regions-Week.)