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Der beruhigende Wohlfahrtsstaat

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik
Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier.
© © Foto: Foto Wilke / Foto Wilke

Jugendforscher über die Chancen für Österreichs junge Unterschicht.


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Wien. In London machte eine perspektivenlose Unterschichtenjugend ihrem Frust Luft. Für Bernhard Heinzlmaier vom Institut für Jugendkulturforschung in Wien sind derartige Exzesse in Österreich zwar möglich, aber unter den derzeitigen Bedingungen eher unwahrscheinlich.

Die Ausschreitungen in England sind laut dem Jugendforscher die Folgen einer neoliberalen Politik, in der ein konsolidierter Staatshaushalt im Mittelpunkt stehe und die Umverteilung aufgegeben worden sei. „Das Ergebnis sind revoltierende soziale Außenseiter, die materiell und psychisch so unter Druck sind, dass sie ausrasten”, sagt Heinzlmaier.

Ähnliches könnte auch in Österreich passieren, glaubt der Jugendforscher: „Wenn ÖVP und FPÖ fünf Jahre lang regieren, dann könnten auch hier die Voraussetzungen dafür geschaffen sein.” Noch verhindere aber Österreichs Sozialpolitik einen derartigen Aufschrei der Jugend. Die „gerechtigkeitsorientierte Politik” des Wohlfahrtsstaats, die für eine gewisse soziale Sicherheit sorge, wirke sich stark dämpfend aus, sagt Heinzlmaier.

Hierzulande gibt es einerseits eine autochtone, österreichische Unterschicht, andererseits „führt die Zuwanderung zu einer Unterschichtung der Bevölkerung”, so Heinzlmaier. „Die Migranten versuchen von dort aus den gesellschaftlichen Aufstieg.” Dabei stehen sie allerdings in direkter Konkurrenz zu österreichischen sozial Benachteiligten, weshalb dort Ausländerfeindlichkeit stark ausgeprägt sei, so Heinzlmaier. Die betroffene Jugend reagiert mit entsprechendem Wahlverhalten, aber nicht mit Krawall.

Also wird die Unterschichtenjugend durch den Wohlfahrtsstaat ruhiggestellt? Diese Politik wirke schon sedativ, allerdings ändere sie auch etwas an der sozialen Situation der Betroffenen - zumindest potenziell. AMS-Kurse seien mehr als bloße Beschäftigungstherapie, sondern „öffnen Horizonte”.

„Die soziale Mobilitätist minimal”

Der Staat bietet den Jugendlichen Chancen, aus ihrem Unterschichtendasein auszubrechen. Allerdings ist die soziale Mobilität minimal: „80 bis 90 Prozent bleiben dort, wo sie sind”, sagt Heinzlmaier. Daher sind für ihn die Bildungsversprechen der Regierung „ich will nicht sagen Lügen, aber Übertreibungen”.

Seit Jahren predigt etwa die SPÖ die Ausbildungsgarantie für Jugendliche. Allerdings lässt sich damit nicht verhindern, dass sich rund 5000 Jugendliche pro Jahr nach Ende ihrer Schulpflicht als Hilfsarbeiter verdingen, ebenso viele einfach gar nichts tun. Dem will man im Sozialministerium mit einer Ausbildungspflicht bis 18 gegensteuern. „Langfristiges Ziel ist, dass jeder Jugendliche eine Ausbildung macht”, heißt es aus dem Büro von Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Nächster Schritt dazu, der am Montag präsentiert wird, ist ein Jugendcoaching: Alle Jugendlichen in der letzten Pflichtschulstufe sollen per Fragebogen Auskunft über ihre Zukunftspläne geben. Denen, die keinen Plan haben, soll geholfen werden.

Für Jugendforscher Heinzlmaier ist die Ausbildungspflicht zwar gut gemeint, aber nicht zielführend: „Statt die jungen Leute zu verpflichten, muss man sie motivieren.”