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Zumindest in seinen letzten Jahren war Swjatoslaw Richter der Meinung, man müsse ihn nicht sehen, während er spiele, denn sein Anblick lenke nur von der Musik ab. Also ließ er bei seinen Konzerten den Saal fast völlig verdunkeln. Nur eine kleine Lampe gab so viel Licht, dass Richter seine Noten lesen konnte. Denn die zweite unkonventionelle Alterslehre des russischen Pianisten besagte, ein Musiker solle nicht auswendig spielen. Kein Gedächtnis könne die Spielanweisungen genauso speichern, wie sie in den Noten ständen. Und deshalb begännen die Auswendigspieler dann mit der so genannten "Interpretation". Die aber lehnte Richter im Alter als subjektive Zutat ab.
Nun sind die Konzepte und Theorien eines Künstlers eine Sache, sein Auftreten und sein Spiel eine deutlich andere. Am vergangenen Freitag lief in "arte" wieder einmal der großartige zweiteilige Film "Swjatoslaw Richter, der Unbeugsame", der 1998, ein Jahr nach Richters Tod, von Bruno Monsain-
geon aus Tondokumenten und Interviews zusammengestellt wurde. Und so konnte man im Fernsehen hören und sehen, dass Richter keineswegs nur der schlichte Notenabspieler gewesen ist, als der er sich gerne gab. Vor allem, wenn er mit anderen Musikern zusammen auftrat, spürte man deutlich, dass von diesem schweren, scheinbar völlig selbstvergessenen Mann intensive "Vibrations" ausgingen. Das Wort wird sonst eher auf Pop- und Jazzmusiker angewandt - es passt aber für die "klassischen" genauso. Zumindest wenn sie so viel Kraft und Intensität mobilisieren können wie Swjatoslaw Richter, der bescheidene Großmeister.