In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Anlage eines großen Zentralfriedhofes für die Stadt Wien dringend notwendig. Die Suche nach einem Standort erwies sich jedoch als schwierig.
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"Es ist nicht schwer vorauszusagen, dass auch der heutige Kreis von Friedhöfen bald als zu eng befunden werden wird." Diese Aussage des damals 31-jährigen Eduard Suess, seines Zeichens Geologe und späterer "Vater der Ersten Wiener Hochquellenleitung", aus dem Jahr 1862 sollte sich bewahrheiten. Kaiser Joseph II. hatte 1784 alle Friedhöfe, die sich innerhalb des Linienwalls (heute Gürtel) befanden, in die Vororte verbannt.
Dass dann Wien ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine rasante Entwicklung durchmachen sollte, konnte der "Reformkaiser" freilich nicht wissen. Das Bevölkerungswachstum stieg rasant. Dies belegen Zahlen, hochgerechnet auf das heutige Stadtgebiet: Beim Abriss der Stadtmauern 1857 zählte man 683.000 Wiener und Wienerinnen, 1880 waren es 1.162.591 und 1890 gar 1.430.213. Zur Jahrhundertwende wurde mit 1.769.137 Einwohnern das heutige Niveau erreicht, und 1910 lebten in Wien mehr als zwei Millionen Menschen.
Die Herausforderungen der Stadtväter betrafen nicht nur die Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen wie Trinkwasser, Nahrung, Wohnungen, Bildung, sondern auch die Frage: "Wohin mit den Toten?"
Dazu die "Wiener Zeitung" vom 6. Dezember 1866 im Vorfeld der entscheidenden Gemeinderatsdebatte: "Die Friedhoffrage drängt im Gemeinderathe zur Entscheidung. Wiewohl partielle Erweiterungen der bestehenden Friedhöfe wiederholt vorgenommen wurden, so zeigten sich dieselben doch nur für kurze Zeit ausreichend gegenüber der Steigerung der Bevölkerung und der in den letzten Decennien ungewöhnlich stark vermehrten Zahl von eigenen Gräbern."
Erhitzte Debatte
Am 7. Dezember 1866 beschloss der Gemeinderat die Anlage des Zentralfriedhofs. Die entscheidende Sitzung des Wiener Gemeinderates unter Vorsitz von Bürgermeister Andreas Zelinka verlief beim Referat der "Friedhof-Commission", so ist der "Neuen Freien Presse" vom 8. Dezember zu entnehmen, phasenweise wenig pietätvoll. So polemisierte eines der Mitglieder "gegen die Ansicht, daß die Nähe von Friedhöfen gesundheitsgefährlich sei, und erzählt, daß in seinem Geburtsort trotz der Lage des Gottesackers im Centrum des Dorfes während der Cholera im Jahre 1831 niemand gestorben sei. Ich kann, sagt er zum Schluß seiner Rede, nix behaupten, ich waß nix, und andere Leute, die glauben, daß sie was wissen, die wissen vielleicht auch nix. (Schallendes Gelächter.)"
Ein anderer Redner, der "augenscheinlich in gehobener Stimmung" war ("Seine Augen glänzen, sein Gesicht ist geröthet, und während er von Leichen und Verwesung spricht, scheint seinem Munde durchaus kein Modergeruch zu entströmen"), hält "die Anlage eines neuen Friedhofes von 300.000 Joch (schallendes Gelächter) für durchaus nicht
nothwendig, denn die Bevölkerung sei ja nur von 200.000 auf 500.000 Seelen gestiegen. (Gelächter.)" Damit waren zwei Fragen in den Vordergrund gerückt: Wo konnte eine entsprechend große Fläche gefunden werden, und war diese Fläche für einen Friedhof auch geeignet?
Nach der Beschlussfassung spitzte sich in den Folgejahren die Lage zu, "wir benutzen bereits die Wege in den Friedhöfen", so der "Stadtphysicus" an die Mitglieder der Friedhofskommission ("Neues Fremden-Blatt", 3. September 1869). Im Gespräch war auch eine Privatisierung, sprich Auslagerung, wie man heute sagen würde. "Der Magistrat, so scheint es, neigt sich der Ansicht hin, daß man die Herrichtung von Friedhöfen der Privatindustrie überlassen möge. Also jedenfalls Friedhofsaktien."
Grundstückssuche
Die Kommission hatte - offensichtlich nach längerer Zeit - wieder ein Grundstück, diesmal (Anfang September 1869) in Süßenbrunn besichtigt. Mitte September 1869 wird vom Kauf eines Grundstückes in Rannersdorf (bei Schwechat) für den geplanten Zentralfriedhof berichtet. Auch im Süden Wiens gab es Intentionen, wie "Das Vaterland" vom 28. Oktober 1869 schreibt, wo erwähnt wird, dass in Biedermannsdorf die Friedhofsfrage ins Stocken geriet. "Die Gemeinde Guntramsdorf will sich aber zu keinerlei Grundabtretung herbeilassen. Uebrigens dürften gegen die Verlegung des Wiener Monstre-Friedhofes in diese Gegend sich wohl auch noch andere gewichtige Rücksichten geltend machen. Der neue Centralfriedhof würde nämlich zwischen Neudorf [=Wiener Neudorf] und dem kaiserlichen Lustschloß Laxenburg und seinem ausgedehnten Park zu liegen kommen. Wird es sich der allerhöchste kaiserliche Hof gefallen lassen müssen, daß das Leichen-Miasma (gr. = übler Dunst), welches aus dem hier so lockern Friedhofboden massenhaft ausströmen muß, dem Lieblingsaufenthalt des Kaisers zugetrieben wird?"
Grundwasserfrage
Damit wurde die Frage nach der Eignung des Standortes zentral angesprochen. Denn nicht alleine die Größe des Grundstückes und die Erreichbarkeit, sondern vor allem die Untergrundeigenschaften des Bodens waren und sind von essenziellem Interesse. An vorderster Stelle ist die Grundwasserfrage zu nennen. Wenn nur die geringste Gefahr einer Verunreinigung durch Verwesungsprodukte besteht, ist die Anlage eines Friedhofs ein absolutes Tabu! Weitere wünschenswerte Parameter sind - vor allem aus Sicht der Totengräber - die (Stand-)Festigkeit des Bodens, also ob mit Schaufel und Spaten gegraben werden kann oder auf Spitzhacke und Krampen zurückgegriffen werden muss. Auch günstige Voraussetzungen für das "Anpflanzen von Bäumen und Gesträuchen" - ein Desiderat der Friedhofsgärtner - wurde immer wieder als zusätzliches Argument genannt.
Um die Punkte zu klären, hatte der Magistrat der Stadt Wien am 5. Oktober 1869 ein vierteiliges "Gutachten über die Bodenbeschaffenheit der zu Friedhofszwecken offerirten Grundcomplexe bei Kaiser-Ebersdorf, Rannersdorf, Pellendorf, Oberlaa, Unterlaa, Vösendorf, Biedermannsdorf und Neudorf" in Auftrag gegeben. Gutachter waren u.a. die Geologen der k.k. geologischen Reichsanstalt, Dionysos Stur und Franz Foetterle. Beide hatten rasch gearbeitet. Bereits am 18. Oktober schreibt Stur an das "Hohe Gemeinderaths-Präsidium der Haupt- und Residenzstadt" zusammenfassend: "Soweit meine Untersuchungen reichen, stellte sich heraus, daß die offerirten Territorien bei Gutenhof, Himberg und Pellendorf nicht geeignet, die bei Rannersdorf und Kaiser-Ebersdorf günstigere Verhältnisse des Untergrundes darbieten."
Die beste Wahl
Hier kommen auch die beiden "Stadtphysiker", namentlich Eduard Nusser und Franz Innhauser sowie der Spitalsdirektor, Adolf Hoffmann, zu Wort. Sie alle schließen sich der Geologenmeinung an und ergänzen Bemerkungen. "In Beziehung auf die Leichtigkeit der Verwesung dürfte der Grundkomplex von Kaiser-Ebersdorf aus dem Grunde einen Vorzug verdienen, weil der größere Gehalt des Lößes an Sand die Verwesung nach den auf den Wiener Friedhöfen Währing und St. Marx, wo ebenfalls Löß vorhanden ist, gemachten Erfahrungen besser vor sich gehen läßt, da hiedurch auch das Durchsickern der meteorischen Wässer in die unteren Sandschichten erleichtert wird."
Dem Löss, jenem porösen, von eiszeitlichem Wind verwehten, ockerfarbigen Sediment, das auch Winzer für ihre Weinstöcke sehr schätzen, wurden von Stur höchste Noten verliehen. Weil er etwa "in der Art eines Filtrums alle Feuchtigkeit aufsaugt [. . .] und somit auf die Leiche austrocknend wirken wird".
Auch beim Graben der Gräber "ohne alle Vorrichtungen" sei Löss erste Wahl. Es lassen sich hier Gräber selbst "im Vorrath" herstellen, so Stur. Hier verrät Stur die Gepflogenheiten der Leichenbestattung der damaligen Zeit, wonach die Gräber sichtlich über längere Zeit offenstanden und so zur Quelle übel riechender Miasmen wurden.
Die Entscheidung
Man entschied sich schließlich für den zwei Quadratkilometer großen Standort Kaiser-Ebersdorf, mit der heutigen Adresse Simmeringer Hauptstraße 232-244 im elften Bezirk. Am 1. November 1874, fast genau acht Jahre nach Beschlussfassung, erfolgte die Eröffnung. Heute bietet der Zentralfriedhof Platz für rund 330.000 Gräber. Totengräber benötigen wenige Stunden für das Ausheben eines einfachen Grabes (2,20 m Länge, 80 cm Breite und 2,70 m Tiefe), die Verwesung erfolgt in der Regel binnen zehn Jahren.
Somit wird im Untergrund immer wieder neuer Platz frei, was auch notwendig ist, denn es finden täglich zwischen 20 und 25 Beerdigungen statt. Dass auch Bäume und Sträucher bestens gedeihen, weiß jeder zu bestätigen, der am Zentralfriedhof war, und Grundwasserkontaminationen sind dank der dicken Lössschicht auch keine bekannt geworden.
Geriet die Stadt Wien Ende der 1860er Jahre beinahe in Verzug bei der Friedhofsfrage, plante man 1895 vorausschauend. Einem Zufallsfund im Archiv der Geologischen Bundesanstalt ist ein Gutachten zu verdanken, das am 16. August 1895 von der Stadt Wien bei der k.k. geologischen Reichsanstalt in Auftrag geben worden war.
Man fragte nach, "ob der Grundcomplex im Tullnerfelde zwischen den Straßenzügen Tulln-Königstetten, Tulln-Staasdorf beziehungsweise Nitzing" auf seiner geologischen Beschaffenheit für zur Anlage eines großen Friedhofes für die Stadt Wien in Aussicht genommen werden könnte". Hier überrascht die Entfernung: rund 24,5 Kilometer Luftlinie vom Zentrum Wiens; zum Zentralfriedhof sind es bescheidene acht Kilometer.
Eigentlich kann man froh sein, dass der gutachtende Geologe Michael Vacek angesichts einer dünnen Lösslage und dicken, wasserführenden Schotterschichten am 23. August feststellte, dass "die Hausbrunnen von Langenlebarn in erster Linie der Gefahr einer Infection ausgesetzt" wären; für das Graben der Gräber und das Gedeihen der Pflanzen sah er indes gute Chancen. Wäre der Standort geeignet gewesen, müssten wir möglicherweise heute zu Allerheiligen nach Tulln fahren.
Thomas Hofmann,geboren 1964, ist Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bundesanstalt in Wien.