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Der Betriebsführer der Republik

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Alfred Gusenbauer wird Weihnachten noch als Bundeskanzler feiern können. Die Arbeitsteilung zwischen niederer Innenpolitik und Staatsgeschäften ist gar nicht so übel.


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Ab kommendem Freitag hat Alfred Gusenbauer in seiner Partei nichts mehr zu melden. Die SPÖ heftet ihr Heil an ihren neuen Parteichef Werner Faymann, auch wenn sie eigentlich nicht genau weiß, wie sie zu ihm gekommen ist.

Faymanns in dunkler sozialdemokratischer Not durchgepeitschte Nominierung führt etwas von dem Geruch mit sich, den auch US-Präsident George W. Bush hinter sich herzog, als er im Wahljahr 2000 nach dem Debakel der amerikanischen Wahlmaschinerie mangels demokratischer Entscheidungsgrundlage auf rein technische Art in die erste Amtsperiode gehievt wurde: Man nahm Bush, ohne nachweisen zu können, dass er die Präsidentschaftswahl überhaupt gewonnen hatte. Faymann brauchte sich einem Auswahlverfahren in seiner Partei nicht zu stellen, es gab keine Gelegenheit dazu.

Was aber wird aus Gusenbauer? So wie es aussieht, kann er sich darüber noch einige Monate lang als Bundeskanzler Gedanken machen. Nach dem Wahltag am 28. September beginnen, weil rechnerisch nichts anderes möglich sein wird, Koalitionsverhandlungen. Die beiden letzten haben jeweils gute drei Monate gedauert.

Nicht nur die Arithmetik der Mehrheitsbildung verspricht zur harten Nuss zu werden, auch die vom Umfallertrauma Gusenbauers verschreckten Spitzenpolitiker trainieren Kompromisslosigkeit und wollen dennoch nicht darauf verzichten, schon jetzt das Fell des Bären zu verteilen. Etwa - Gag vom Sonntag -, das Sozialministerium der ÖVP zuzuschreiben.

In dem Monat seit dem Neuwahlbeschluss war Gusenbauer als Bundeskanzler eher in der großen Welt zu sehen als in Österreich: bei der Mittelmeerkonferenz in Paris und dann noch einmal bei der Militärparade in Paris, in der Ukraine, in Montenegro. Er ist ein Reisender in Staatsgeschäften bei geminderter politischer Belastung und ohne drückende Verantwortung. Was kann es Schöneres geben.

Durch die überfallartige Ausrufung von Neuwahlen durch ÖVP-Chef Wilhelm Molterer erspart sich die Republik Österreich etwas, was die SPÖ aus wahltaktischen Gründen gewiss gern gehabt hätte, für alle anderen aber nur als Luxus erschiene: einen vorzeitigen Kanzlerwechsel von Gusenbauer zu Faymann.

Gewiss, Faymanns Foto im schwarzen Anzug vor rotem Hintergrund hätte sich noch viel eindrucksvoller gestalten lassen, wenn der Fototermin am Ballhausplatz unter Aufbietung von goldgerahmten Spiegeln, dem Bundesadler sowie einmal mit und einmal ohne EU-Banner stattfinden könnte.

Sonst aber wäre nichts Sinnvolles zu erwarten gewesen, weil ja niemand weiß, wer nach den Wahlen Kanzler werden wird. Und wer bloß probeweise am Ballhausplatz residiert, muss sich schon der Baustruktur des verwinkelten Hauses wegen eher auf einen Blindenhund verlassen als auf den Geist Metternichs. Von einer Übersicht über das Personal ist da noch gar nicht die Rede.

Kurzum, im Wahlkampf hätte Faymann als Kanzler nichts leisten können, und nach der Wahl gingen seine Kanzlergeschäfte ein paar Monate im Koalitionspoker unter. So aber herrscht Arbeitsteilung. Gusenbauer "regiert"; die Krähen aller Parteien können einander die Augen aushacken, wie sie wollen. Wenn man sich ausmalt, was alles auf die Österreicher bis zum Jahresende und vielleicht darüber hinaus auf der unteren politischen Ebene zukommt, wird man Gusenbauer zwar keine lange Amtszeit wünschen, aber doch eingestehen: Es ist eigentlich recht praktisch, dass es ihn noch gibt.