Vor rund fünf Millionen Jahren lebte der riesige Pelagornis chilensis. | Mit einem Zahnschnabel fischte er seine Beute im Flug aus dem Wasser. | Frankfurt. Seine Flügeln haben mit mehr als fünf Meter Spannweite die Länge eines Zimmers. Elegant segelt der große Vogel knapp über den Wellen des Pazifik vor der chilenischen Küste. Der Kopf ist nach unten geknickt, offenbar späht das Tier ins Wasser. Plötzlich taucht der Unterschnabel in die Wellen. Und Sekunden später klappt er wieder zu, wie riesige Zangen halten die aus dem Oberschnabel herausragenden Zähne den glitschigen Tintenfisch fest, den sich der Vogel aus dem Wasser geangelt hat. "
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Wenn er heute noch leben würde, wäre er eine Riesenattraktion für Vogelbeobachter", sagt der Paläontologe und Ornithologe Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt.
Der Vogel namens Pelagornis chilensis verschwand allerdings bereits vor rund fünf Millionen Jahren von der Erde. Mayr konnte den Körperbau und die Lebensweise des Riesen also nur aus seinen versteinerten Knochen rekonstruieren, die den Zahn der Zeit überstanden hatten. Ein privater Sammler hatte sie in der Nähe des Dorfes Bahia Inglesa in der Atacama-Wüste Chiles entdeckt. "Das Senckenberg-Institut konnte die Fossilien schließlich kaufen und dem Naturhistorischen Nationalmuseum in Santiago de Chile übergeben", erklärt Mayr die verschlungenen Wege der Riesenvogelknochen.
Davor aber untersuchte der deutsche Forscher den Fund selbst gründlich. Und meldet einen Volltreffer: "70 Prozent der Knochen haben die Jahrmillionen überstanden", berichtet er. Das ist sehr viel. Meist bleibt von den leichten Knochen eines Vogels wenig übrig. Die Beinahe-Vollständigkeit aber half, viele Eigenschaften des Vogels zuverlässig zu ermitteln, berichten Mayr und David Rubilar vom chilenischen Nationalmuseum im Fachblatt "Vertebrate Paleontology".
Größer als ein Albatros
Rund 520 Zentimeter lagen zwischen den Spitzen der beiden Flügel von Pelagornis chilensis. Damit übertraf seine Spannweite jene eines Wander-Albatros, der heute die längsten Flügel hat, um zwei Meter. Eine größere Spannweite war zuvor nicht nachgewiesen worden. Zwar gibt es in Argentinien Hinweise auf einen Vogel, der sieben Meter Spannweite gehabt haben könnte. Diese Fossilien sind aber schlechter erhalten.
Die Flügel des chilenischen Fundes waren nicht nur extrem lang, sondern vor allem schmal - typisch für einen Segelflieger. Tatsächlich zeigt der Knochenbau der Flügel auch, dass Pelagornis chilensis stärker als heutige Albatrosse an den Segelflug angepasst waren. Vermutlich landeten diese Vögel nur, wenn es nicht anders ging, etwa zum brüten.
"Nahrung fischte Pelagornis chilensis wohl im Flug aus den Wellen des Pazifik", schließt Mayr aus dem Kopf des Vogels. Der Kopf war vermutlich nicht wie bei einem Albatros nach vorne gerichtet, sondern nach unten abgeknickt. Aus dem kräftigen Schnabel ragten Zähne, die anders als die Zähne von Säugetieren nicht mit Schmelz bedeckt waren und direkt aus dem Schnabel wuchsen. "Das ist nicht ungewöhnlich, der Vogel gehörte ja zur Gruppe der Pseudozahnvögel", erklärt Mayr. Mit den Zahnschnabel lassen sich auch glitschige Meerestiere ohne Zwischenlandung im feuchten Element leicht aus dem Wasser holen.
Die Oberschenkelknochen des Riesen-Seglers waren hingegen kaum größer als bei einem heute lebenden Pelikan. Daraus kann Mayr auch sich das Körpergewicht des Tieres ausrechnen: "Mit 16 bis 29 Kilogramm war Pelagornis chilensis erstaunlich leicht", so der Paläontologe. Das passt hervorragend zu einem Segelflieger, der den größten Teil seines Lebens ohne Flügelschlag über den Wellen des Pazifik zubrachte.