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Der Boom wird zum Bumerang

Von Peter Muzik

Wirtschaft
© © Fotolia, Wiener Zeitung

Österreichs Betriebe müssen in Ungarn ihr Geschäft redimensionieren.


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Erika Teoman-Brenner, Wirtschaftsdelegierte in Budapest, möchte "kein Schreckensszenario an die Wand malen". Ernst ist die politisch-wirtschaftliche Situation, in die Ungarn gerasselt ist, aber auf alle Fälle. Mit einer Reihe eigenwilliger Maßnahmen hat die konservative Regierung unter dem rechtspopulistischen Premier Viktor Orban das Land an den Rand des Ruins geführt. Die Tageszeitung "Pester Lloyd" spricht von einer "gewagten Achterbahnfahrt einer Jahrmarktwirtschaft der lauten Ankündigungen".

Investoren aus dem Ausland sind verunsichert. "Die Stimmungslage bei den hier engagierten österreichischen Betrieben", weiß Kammer-Repräsentantin Teoman-Brenner, "ist schon länger nicht besonders gut." Seit kurzem sei jedoch Alarmstufe Rot angesagt. Immerhin ist Ungarn - nach Deutschland, Italien, den USA, Schweiz, Frankreich und Tschechien - Österreichs siebentwichtigster Exportmarkt. Im Vorjahr haben heimische Betriebe dort von Jänner bis Oktober mit 3,1 Milliarden Euro einen respektablen Erfolg erwirtschaftet - das Plus zum Vergleichszeitraum 2010 betrug 14,6 Prozent.

Rot-Weiß-Rot als Modefarbe

Für Ungarn ist Österreich obendrein mit einem Investvolumen von 7,8 Milliarden Euro und einem Anteil von 13 Prozent an den gesamten Auslandsinvestitionen - nach Deutschland und den Niederlanden - der drittwichtigste ausländische Player. Besonders aktiv waren die rot-weiß-roten Investoren in den Bereichen Baustoffe, Baumärkte, Einzelhandel, Papier und Verpackung, Transport sowie Banken und Versicherungen. Auch Rechtsanwälte, Steuerberater, Personalberater, Ingenieur- und Planungsbüros sowie Werbeagenturen sind - zumeist erst vor wenigen Jahren - reihenweise im Nachbarland aufmarschiert.

Die Kreditinstitute und Assekuranzen aus Wien waren, sozusagen als Wegbereiter, die Ersten im Land: Die Erste Hungary etwa, einstweilen Ungarns zweitgrößtes Finanzinstitut, konnte in der besten Zeit auf 184 Filialen und 900.000 Kunden stolz sein. Die Raiffeisen Bank Zrt., schon 1986 als Unicbank gegründet, eröffnete 144 Filialen und brachte es auf mehr als 600.000 Kunden. Auch die Bank Austria, die seit den frühen Neunzigerjahren die Nummer eins im CEE-Raum werden wollte, zählt - seit 2007 als Unicredit Bank - zu den ungarischen Branchengrößen.

Die Vienna Insurance Group ("Wiener Städtische" wiederum ist im Pusztaland seit dem Kauf der Union Biztosito vor rund zwölf Jahren engagiert. Ihr Erzrivale Uniqa zog 2003 nach und verfügt nunmehr über rund 130 Geschäftsstellen.

Mit wenigen Ausnahmen, darunter Mayr-Melnhof, RHI oder Plasser & Theurer, sind in Ungarn aber auch heimische Industrie-Größen vor Ort tätig, angefangen mit der OMV über die Voestalpine bis zu Semperit. Weiters haben Baukonzerne à la Strabag und Alpine jahrelang kräftig mitgemischt, ehe sie in die Krise schlitterten. Auch Österreichs Handelsriesen witterten ihre große Chance: Baumax-Boss Martin Essl hat in Ungarn inzwischen 15 Märkte im Rennen, Kika-Chef Paul Koch kann auf sechs Möbelhäuser verweisen, und auch die Spar-Tochter Aspiag zählt mit 400 Märkten längst zur Elite.

Etliche Investoren aus Österreich, meist traditionsreiche Familienbetriebe, haben sich in ihrer Branche dominante Positionen erkämpft: Das dem Industriellen Friedrich Schmid gehörende Firmenkonglomerat, zu dem Baumit und Murexin ebenso gehören wie die Firmen Furtenbach und Austrotherm, gilt am ungarischen Baustoffsektor als Fixstern.

Der 1881 in Szeged gegründete Gewürzhersteller Kotanyi ist im Land des Paprikas sogar ebenso Marktleader geworden wie die seit 15 Jahren etablierte Agrana-Tochter Magyar Cukor oder der Ziegelkonzern Wienerberger, der in Ungarn 1990 gestartet und nunmehr mit 17 Werken vertreten ist.

Trotzdem war es für die Österreicher nicht immer leicht, wofür etwa die Kalamitäten sprechen, die sich die ÖBB-Tochter Rail Cargo mit dem Kauf der MAV Cargo eingehandelt hat. Die latente Krise des Landes ging an vielen Betrieben nicht spurlos vorbei: Wienerberger beispielsweise spürt seit Jahren eine deutliche Flaute, weil weniger gebaut wird. Das ist zwar nicht tragisch, weil Ungarn nur zwei Prozent zum Gruppenumsatz beiträgt. Eine Krise Polens oder Tschechiens träfe das Unternehmen härter.

Fast alle müssen bremsen

Auch bei Kotanyi sind die Marktanteile deutlich gesunken. Die Gründe: der schwache Konsum - viele Bürger befürchten Jobverlust und Armut -, die massive Abwertung des Forint, aber auch der scharfe Preiskampf gegen andere Markenartikler.

Der Verlust an Kaufkraft ihrer Ungarn-Kunden bescherte auch der Salzburger Spar Enttäuschungen: Die Handelskette, die eine neue Sonderkrisensteuer auf Supermärkte zu berappen hat, verzeichnet in Ungarn schon seit 2009 schrumpfende Umsätze. Bei weiteren Investitionen ist das Unternehmen laut Vorstand Rudolf Staudinger "extrem zurückhaltend". Jetzt besteht die Gefahr, dass der Boom für viele zum Bumerang werden könnte.

Drei heimische Banken - Erste, Raiffeisen und Bank Austria - müssen am meisten zittern: Ihre offenen Forderungen in Ungarn betragen rund 32 Milliarden Euro, wovon das Gros auf Kredite und ein Fünftel auf Staatsanleihen entfallen. Aufgrund der neuesten Polit-Schikanen à la Bankensteuer müssen sie unisono Filialen zusperren und Personal freisetzen. Die Erste Hungary schloss bereits 60 Zweigstellen und trennte sich von gut 400 Mitarbeitern.

An einen Rückzug, den etwa die Volksbanken AG per Verkauf ihrer Ost-Aktivitäten an die russische Sberbank gerade vollzieht, denkt allerdings kaum jemand. "Man gibt einen Markt, den man erobert hat, nicht so leicht auf", weiß der für Ungarn zuständige Regionalmanager der Außenwirtschaft Österreich, Christian Gessl. Aber: "Wir raten allen, in Ungarn überaus vorsichtig zu sein."

Die gängigste Strategie heißt laut Teoman-Brenner für all jene Betriebe, die sich derzeit besonders schwer tun, "Redimensionierung". Es wird daher eisern gespart, Personal abgebaut, die Produktion runtergefahren, auf Expansionspläne und Investitionen verzichtet.

Bei Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, trudeln laufend Anfragen ein: So etwa befürchten rot-weiß-rote Entsorgungsunternehmen wie die Grazer Firma Saubermacher, die in Ungarn 11 Töchter mit 17 Standorten unterhält, dass ihnen mit dem geplanten Abfallwirtschaftsgesetz und dem damit verbundenen Versuch, Privatfirmen aus dem Markt zu drängen, eine Quasi-Enteignung blühen könnte.

Manche Österreicher agieren indes gelassen: Der burgenländische Unternehmer Michael Leier, seit 30 Jahren in Ungarn engagiert und mit Betonstein-, Dachstein-, Fertigteil- und Ziegelwerken, aber auch als Autohändler, Blumenerdeproduzent, Immobilienmakler und Hotelier an 13 Standorten präsent, will heuer sechs Millionen Euro in ein ungarisches Fertigbetonwerk sowie diverse Immobilien investieren.

Ungarns Fakten<br style="font-style: italic;" /> <br style="font-style: italic;" /> Vor fast vier Jahren konnte Ungarn dank einer 20-Milliarden-Spritze des IWF, der EU und der Weltbank die Kurve kratzen und eine Staatspleite abwenden. Jetzt muss die unberechenbare Regierung unter Viktor Orban alles versuchen, um dieses Kunststück ein zweites Mal zu schaffen. Das laut EU-Währungskommissar Olli Rehn "exzessive Budgetdefizit" der Magyaren und die dramatische Staatsverschuldung, die bei rund 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, haben zu einer Schieflage geführt, die für das Land ohne fremde Hilfe nicht mehr bewältigbar ist. Seit die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit auf Ramsch-Status herabsetzte, zählt Ungarn so wie Griechenland, Italien & Co. zu den größten Zeitbomben der Union.<br style="font-style: italic;" /> <br style="font-style: italic;" /> Im Vorjahr wuchs die ungarische Wirtschaft deutlich schwächer, als nach dem Regierungswechsel im Mai 2010 erwartet wurde: Das BIP-Plus betrug lediglich etwa 1,3 Prozent, für heuer rechnen Optimisten nur mit 0,3 Prozent Steigerung, Pessimisten befürchten einen Rückgang um bis zu 1,5 Prozent. Das exportabhängige Land hat sich dank namhafter Zuwächse bei den Ausfuhren nur scheinbar von der Krise erholt, denn die wahren Profiteure waren dabei Niederlassungen ausländischer Konzerne. International wettbewerbsfähige Mittelbetriebe sind so gut wie nicht vorhanden.<br style="font-style: italic;" /> <br style="font-style: italic;" /> Trotz der Exporterfolge verdüsterte sich das Gesamtbild merklich: Eine schwache Inlandsnachfrage, geprägt von der hohen Verschuldung der Haushalte, einem Rückgang bei den realen Einkommen und den Unsicherheiten am Arbeitsmarkt, traf insbesonders den Einzelhandel.<br style="font-style: italic;" /> Die Arbeitslosenrate von mehr als 10 Prozent – angesichts der niedrigen Beschäftigungsquote von 55 Prozent alarmierend – führte zu schrumpfenden Einkommensteuern und Sozialabgaben, was dem Staatshaushalt schwer zusetzte.<br style="font-style: italic;" /> <br style="font-style: italic;" /> In dieser heiklen Situation entschied sich die Regierung im Ho-ruck-Stil zu drastischen Maßnahmen – "Sondersteuern", "Krisensteuern" und zur Verstaatlichung der privaten Pensionsvorsorge –, wobei vor allem die Banken ihr Fett abbekamen, denen ein Gesetz zur vorzeitigen Tilgung von Fremdwährungskrediten verabreicht wurde. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 27 Prozent macht die Anfang 2011 eingeführte Flat-Tax in Höhe von 16 Prozent sowie die Reduktion der Körperschaftssteuer für KMU auf 10 Prozent wieder zunichte. Zudem werden der Verfall des Forint und die Inflationsrate von 4,1 Prozent es dem Land nicht leicht machen, aus dem Schlamassel zu gelangen.