Die Wahrheit über Kaiser Nero wird in zahllosen Büchern abgehandelt und hat doch keine Chance gegen die Fama.
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Alles nur wegen Peter Ustinov!
Dabei ist "Quo Vadis" ein grauenhafter Film, ein knapp dreistündiger Religionskitsch, der mit dem Rom der Antike ungefähr so viel zu tun hatte wie Shakespeares "Sturm" mit Christa Kummer. Aber Peter Ustinov spielte sich als Psychopath mit lüsternem Mund und gano-
venhaft scheelem Blick als Nero in die Filmgeschichte und zeichnete ein für alle Mal das Bild Neros: Ein Scheusal, das nach Christenblut lechzt.
So kam Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, geboren im Jahr 37, gestorben im Jahr 68, in der breiten Bevölkerung an. Jetzt war er kein Forschungsobjekt für Altertumsforscher mehr. Ab jetzt verbindet jeder etwas mit ihm. Nero, das ist der, der Rom angezündet hat. Der, der die Christen verfolgt hat. Der irre Kaiser. Die Inkarnation des Bösen.
Der Ruf ist ruiniert
Wissenschaftliche Widerrede zwecklos. Der Ruf ist ruiniert. Er taugt gerade noch für ein Brennprogramm: Nero - Burning Rom. Nur Bücher wollen ihm seit rund 70 Jahren Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Über welchen Potentaten ist ähnlich viel geschrieben worden? Gewiss, Hitler übertrifft alle, wahrscheinlich hat auch Napoleon die Nase vorne. Aber sonst? Zwölf Nero-Biografien listet das Internet-Lexikon Wikipedia auf. Sieht man Antiquariatslisten durch, dürften es doppelt so viele sein. Mindestens.
Seriöse Historiker haben längst begonnen, ein neues Bild des Kaisers zu entwerfen. Teils, indem sie der antiken Geschichtsschreibung mit ihren republikanischen Neigungen ebenso misstrauen wie der christlichen, für die Nero der Mörder des Petrus und des Paulus war; teils auch, indem sie versuchen, das Lebensgefühl im Rom der Antike zu rekonstruieren. Manches, was die römische Geschichtsschreibung den Kaisern ankreidete, würde man heute positiv werten, manches damals als vorbildlich geltendes Verhalten heute verachten.
Gerade ist die Nero-Biografie des Althistorikers Alexander Bätz erschienen. Bätz unternimmt etwas wirklich anderes: Er argumentiert nicht für oder wider Nero, sondern versucht, Nero mit den Augen (vermeintlicher) Nebengestalten der Geschichte zu betrachten: Der Kaiser aus der Sicht von Priesterinnen, Soldaten, Gelehrten, nicht zuletzt von Senatoren, die das Kaisertum verachten, aber von ihm abhängig sind, und von Personen der engsten Umgebung des Kaisers bis hin zu den Vorkostern. Es ist ein glänzendes Buch, spannender zu lesen als manch ein historischer Roman.
Auch die gibt es zuhauf mit Nero als Haupt- oder Nebendarsteller, meist kombiniert mit dem Christentum. Arrigo Boito, berühmt für seine Libretti zu Giuseppe Verdis späten Opern, auch selbst aber ein glänzender Komponist, schrieb seinen "Nerone" zu dem Thema; ein Vorläufer war Claudio Monteverdi mit "L’incoronazione di Poppea", dessen Librettist Giovanni Francesco Busenello den Konflikt mit den Christen aussparte und mehr auf Intrige, Sex and Crime setzte. Dazu kommen Dramen, eines sogar dem Nero-Opfer Seneca zugeschrieben, und Spielfilme über Roms bösen Buben. Selbst Dokus, die sich der ganz anders gearteten Wahrheit verpflichtet haben, spielen mit Neros ruiniertem Ruf.
Bloß: Wieso? Woher kommt dieses Interesse gerade an Nero?
Gemessen an seinen Leistungen, wäre er ein bestenfalls mittelmäßig bedeutender Kaiser. Ist es die Lust am Schrecken? Der Horror-Voyeurismus?
Genau genommen müsste auch das versagen, denn das meiste, was ihm an Gräueltaten zugeschrieben wird, ist pure Erfindung (wie der Brand Roms, den er nicht gelegt hat; wie virtuos er die Hilfsmaßnahmen gehandhabt hat, wird vergessen) oder falsche Interpretation.
Rosen und Muränen
Aber selbst, wenn man alles für bare Münze nähme, wäre er im Vergleich relativ harmlos. Da gab es ganz andere Scheusale an der Spitze des Römischen Reichs: Tiberius etwa, pädophil (was freilich im antiken Verständnis eine lässliche Sünde war), ließ Menschen von Muränen auffressen und schuf einen Bespitzelungs-, Überwachungs- und Denunziationsstaat, der erst wieder im Nationalsozialismus, im Stalinismus und in der DDR Nachfolger fand. Domitian, Commodus und Caracalla übertrafen Nero bei weitem an lustvoll ausgelebter Bestialität. Marcus Aurelius Antoninus, genannt Elagabal, nach heutigem Verständnis ein Transgender, veranstaltete beispiellose Sado-Maso-Orgien, bei denen Teilnehmer im allzu dichten Regen der Rosen erstickten. Und erst Caligula! - Wenn er nicht ein ähnlicher Fall wie Nero war, nämlich durch die antike Geschichtsschreibung verleumdet und bis heute missverstanden. Zumindest behauptet das sehr überzeugend der Althistoriker Aloys Winterling.
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Aber Nero? - Ja, gerade Nero. Natürlich fällt auf ihn das ganze Scheinwerferlicht. Kein anderer hatte so viele Facetten von hell zu dunkel. Kein anderer wurde dermaßen zerrieben zwischen den Mahlsteinen antiker und christlicher Feindbilder. Keiner reizt so zur Interpretation seiner Persönlichkeit, weil er, egal, wie man’s wendet, immer auch ein Anderer ist: Opfer des konsequentesten Rufmordes aller Zeiten - aber auch Muttermörder. Muttermörder, aber auch Schöngeist, der nur widerwillig Todesurteile unterzeichnete, der Gedichte schrieb und lieber Ringkämpfen nach griechischem Vorbild zusah als römischen Gladiatorenspielen.
Verratene Ideale
Lieber hätt er für die Bühne gelebt als für das Imperium Romanum. Noch im Tod klagte er: "Welch ein Schauspieler stirbt in mir!" Kurz: Er widersprach den Idealen römischer Männlichkeit. Die antiken Geschichtsschreiber rächten die verratenen römischen Ideale.
Dass er seine Mutter ermorden ließ - geschenkt: Sie wollte seine Herrschaft destabilisieren, ihn möglicherweise nötigen, sie als Mitregentin einzusetzen. Die Notwendigkeit seiner Reaktion müsste man jenseits christlicher Moral diskutieren. Und die Christenverfolgung? Die Christen galten als Staatsfeinde. Ständig beschworen sie den Weltuntergang. Nach römischem Verständnis wäre es ihnen zuzutrauen gewesen, den Brand Roms gelegt zu haben, für den Nero sie bestrafte. Immerhin reiht der römische Geschichtsautor Sueton, der Nero nicht ausstehen konnte, die Christenverfolgung unter seine wenigen guten Taten.
Eigentlich hätte die Nachrede statt des bösen Buben einen guten Kaiser unter die Leut’ bringen müssen.
Und dann kam Peter Ustinov . . .
Nero: Wahnsinn und Wirklichkeit
Von Alexander Bätz
Rowohlt, Hamburg, 2023, 35,- Euro