Vor sieben Monate wechselte der grüne Mandatar Senol Akkilic zur SPÖ - und verhinderte so die Wahlrechtsreform.
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Wien. Bleich. So hat eine breite Öffentlichkeit Senol Akkilic zum ersten Mal kennengelernt. Bleich und wortkarg. So saß er am 27. März 2015 um acht Uhr morgens bei der Pressekonferenz im Wiener Rathaus eingekeilt zwischen SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler und der stellvertretenden SPÖ-Klubchefin Tanja Wehsely. Euphorisch wurde der "Integrationsexperte" in der roten Familie willkommen geheißen. Er, der bis dahin ein Grüner war. Akkilics Wechsel löste ein kleines Beben in der lokalen Politlandschaft aus. Er verhinderte die Wahlrechtsreform, die eine Stunde später zur Abstimmung stand. Mit Akkilics Überlauf war die Reform Geschichte.
Senol Akkilic lächelt. Es ist Freitagnachmittag im Lokal "Gabel&Co" nahe dem Franz Josef Bahnhof im 9. Bezirk. Bleich sei er damals nicht unbedingt gewesen, vielleicht ein bisschen nervös, meint der 50-Jährige heute. Eine Ewigkeit scheint dieser Moment her zu sein. Sieben Monate. Seither ist Senol Akkilic ein Genosse. Mitgliedschaft ist bei der SPÖ wichtig. Das hat er gelernt. Im großen roten Apparat läuft alles etwas hierarchischer ab als bei den grünen Basisdemokraten. Man muss sich eingliedern, in einem Bezirk anfangen, sich dort beweisen und sich dann Stufe für Stufe hocharbeiten. So will es der Apparat. Akkilic hat damit keine Probleme. Brav hat er in den vergangenen Wochen Seite an Seite mit seinen neuen Parteikollegen wahlgekämpft, war am 11. Oktober erleichtert über das Ergebnis, und übt sich nun in derselben vermeintlich demütigen Reflexion darüber, wie es nach jeder Wahl unter den Genossen so üblich ist: Wie konnte man so viele Wähler an die FPÖ verlieren? Wie gewinnt man sie zurück? Und was tut man gegen die Angst der Leute? Akkilic hat einen Plan: Man müsse vermehrt auf Bildung setzen, insbesondere auf die Erwachsenenbildung, man müsse einen ehrlichen offenen Dialog in der Flüchtlingsfrage führen und man sollte den Wienern zeigen, dass das Zusammenleben von verschiedenen Ethnien, Religionen und Schichten durchaus funktionieren kann.
Alles nur eine Frage der Einstellung. Der 50-Jährige zieht an seiner Zigarette. Er gibt sich entspannt. Dabei ist seine politische Zukunft als Abgeordneter im Wiener Landtag und Gemeinderat derzeit noch ungewiss. Auf Platz 31 der SPÖ-Landesliste ist Akkilic gereiht. Über diese werden sechs Mandate besetzt. Da viele Kandidaten auf mehreren Listen zu finden sind, kann nicht gesagt werden, wer wo welches Mandat annimmt und wer von der Landesliste zum Zug kommt. Die nächsten Tagen und Wochen werden zeigen, ob Akkilic für die Wiener SPÖ in den kommenden fünf Jahren als Abgeordneter im Rathaus sitzt - oder nicht.
Kein Job im roten Wien?
"Ich habe das schon seit der letzten Wahl hinter mir. Jetzt warte ich ab, was herauskommt", sagt der zweifache Familienvater. 2010 hätte Alexander Van der Bellen in den Gemeinderat ziehen soll. Der einstige grüne Bundeschef lehnte ab. So wurde Platz frei für den Neuling auf Platz 12 der Liste: Senol Akkilic. "Ich habe also keinen Stress", sagt Akkilic gelassen. So ganz, will man sie ihm nicht abkaufen, die Gelassenheit. Schließlich steht viel auf dem Spiel. Nicht zuletzt die eigene Reputation, war sie es doch, die am meisten angeschlagen war vor sieben Monate, als man Akkilic einen "Verräter" schimpfte für seinen Wechsel zu den Roten. "Für mich ist es der schwärzeste Tag aus demokratiepolitischer Sicht", kommentierte der grüne Klubobmann David Ellensohn den Schritt seines einstigen Parteikollegen. Er war nur wenige Stunden vor dem roten Coup von Akkilic via E-Mail benachrichtigt worden.
"Ich war sehr verärgert darüber, dass kein Kompromiss zustande kam. Da habe ich gesagt, dass ich nicht gegen die SPÖ stimmen werde. Ich will den Koalitionspartner nicht am Boden sehen", wiederholt Akkilic seine Beweggründe. Hätte es nicht gereicht, nur gegen die Partei zu stimmen, war gleich der Wechsel notwendig gewesen? "Das hätte ich auch machen können", sagt er leise. Dann wäre der Aufschrei vielleicht nicht so laut gewesen - und es würden ihn vielleicht mehr seiner ehemaligen grünen Kollegen noch grüßen.
Politiker wechseln die Partei. Immer und immer wieder. Und jedes Mal klafft dabei eine Wunde im moralischen Empfinden jener Romantiker, die daran glauben wollen, dass die Beziehung zwischen jedem Politiker und seiner Partei auf ewig geschlossen wurde. Es ist kein Flirt, kein Abenteuer, keine Affäre. Es ist eine Beziehung auf Lebenszeit. Und wer diesem romantischen Ideal zuwiderläuft, gilt als Betrüger.
Immer wieder wurde spekuliert, dass Akklic aus beruflichem Kalkül gewechselt sei. Schließlich hatten ihn die Grünen auf unwählbare Stelle platziert, womit er den Einzug in den Gemeinderat nach dem 11. Oktober nicht geschafft hätte. War das die Intention seines Überlaufs zur SPÖ? Ein Versorgungsposten für die nächsten fünf Jahre? Oder wurde ihm gar gedroht, wie manche behaupten, dass er als Sozialarbeiter im roten Wien nach dem Ende der Legislaturperiode keinen Job mehr bekommen würde, wenn er nicht ein bisschen kooperiert? Akkilic schüttelt den Kopf. "Nein. Natürlich haben die Leute das Recht, meinen Schritt zu hinterfragen, aber mit Unterstellungen kommen wir nicht weiter", sagt er. "Ich habe bewusst die Entscheidung getroffen, mit der SPÖ mitzuarbeiten, ohne Aussicht auf einen Job oder Geld."
Grünen wollten, dass es uns besser geht
Aufgewachsen in der mehrheitlich von Kurden bewohnten Stadt Pülümür, im Nordosten der Türkei, wurde Senol Akkilic früh von seiner Umgebung politisiert. Oft sah er wie Demonstranten durch die Straßen zogen und skandierten: "Freiheit und Gerechtigkeit für das kurdische Volk." Als Kind haben ihn diese Frauen und Männer beeindruckt.
Als Teenager wollte er einer von ihnen sein. Er begann sich mit marxistischen Theorien auseinanderzusetzen, diskutierte mit seinen Freunden über Politik und träumte von einer gerechteren Welt. Die Eltern, zwei Schneider, haben in Wien gearbeitet. Mit 14 Jahren folgte er ihnen mit seinen beiden Geschwistern nach. Er erinnert sich noch an diese Anfangszeit, in der er kein Deutsch sprach und sich die anderen Kinder in Hauptschule im 14. Bezirk die Nase zuhielten, als er an ihnen vorbeiging. Hier wollte keiner mit dem fremden Jungen, der jeden Tag eine Krawatte zum Unterricht trug, so wie es in den Hauptschulen der Türkei die Vorschrift war, über Politik sprechen, über eine klassenlose Gesellschaft
oder über eine Welt ohne Ausbeutung.
Akkilic knüpfte Kontakte zu anderen Jugendlichen aus der Türkei und engagierte sich bei der kommunistischen "Föderation der Arbeiter und Jugendlichen aus der Türkei." Gemeinsam mit seinen neuen Kameraden organisierte er einen Marsch von Bregenz nach Wien. Das Motto: "Wir wollen Arbeitsplätze und keine Ausländerhetze." In dieser Zeit lernte Akkilic auch immer mehr grüne Politiker kennen, allen voran Terezija Stoisits, die einstige Menschenrechtssprecherin der Partei. "Sie war die Schleuse, die uns zu den Grünen geführt hat", erzählt Akkilic. "Die Grünen sind gegen Fremdenfeindlichkeit aufgetreten und forderten das Wahlrecht für Migranten. Sie wollten, dass es uns besser geht", sagt er. Damals hat er sich entschieden, den Grünen beizutreten. Die SPÖ stand nicht zur Debatte. "Die SPÖ hat immer bei der Verschärfung der Ausländergesetzte mitgemacht", kritisiert er selbst heute. "Wir haben mit denen zusammengearbeitet, die uns unterstützt haben, und das waren die Grünen", sagt er. Es klingt pragmatisch.
Plan B für alle Eventualitäten
Heute hat er sich mit der Menschenrechtspolitik der SPÖ arrangiert. Mehr noch. Er ist stolz auf die Haltung, die Bürgermeister Michael Häupl vor der Wahl in der Flüchtlingsdebatte gezeigt hat. Mit ihr im Rücken war es leichter für ihn, auf die Straße zu ziehen, zu mobilisieren und auch zu rechtfertigen, warum er nun für die SPÖ rennt. Kaum einer hat ihn auf seinen Wechsel angesprochen. "Du bist für uns der Senol. Wir wissen, was du sagst und was du tust, egal, in welcher Partei du bist. Wir können auf dich zählen", gibt Akkilic die Reaktionen aus seinem Bekanntenkreis wieder. Die Aufregung herrsche nur mehr in den Medien. Er versteht sie nicht, ist der Wechsel doch schon so lange her. Und außerdem, andere vor und andere nach ihm hätten doch auch schon ihre Partei gewechselt. So ist der Lauf der Dinge. Menschen ändern sich eben.
Für Akkilic ist die Sache erledigt. Falls er es nicht in das Rathaus schaffen sollte, wird er schon etwas finden, meint er schulterzuckend. Er kann in der Jugendarbeit wieder Fuß fassen, als Übersetzer oder als selbständiger Berater. "Ich werde für die Wiener SPÖ arbeiten, aber nicht mit der Perspektive, dass ich einen Job dort kriege."