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Der Brief an die "Kronen Zeitung"

Von Waldemar Hummer

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Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Mit ihrem Brief an die "Kronen Zeitung" haben sich die SPÖ-Spitzenpolitiker Alfred Gusenbauer und Werner Faymann sowohl politisch als auch juristisch die Latte sehr hoch gelegt.


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Am 25.Juni richteten Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und SPÖ-Parteivorsitzender Werner Faymann an den Herausgeber der "Kronen Zeitung", Hand Dichand, einen Brief, den dieser am 27. Juni 2008 in der "Kronen Zeitung" auf Seite 4 auch veröffentlichte. Dieser Brief enthält eine Reihe von Forderungen in Bezug auf die künftige Ausgestaltung der EU, von denen einige juristisch mehr als brisant sind.

Neben einer Reihe von Postulaten - wie zum Beispiel des Ausbaues der EU zu einer echten Sozialunion, des Schutzes des österreichischen Arbeitsmarktes durch Übergangsfristen, des Kampfes gegen den Klimawandel, der definitiven Lösung des Transitproblems, der Verbesserung der Informationspolitik der Bundesregierung etc. - fordern die beiden SPÖ-Spitzenpolitiker vor allem verpflichtende Volksabstimmungen in Österreich für weitere Vertragsänderungen sowie für den Beitritt der Türkei.

Obwohl es sich dabei weder um einen Beschluss des SPÖ-Parteitages noch um den eines sonstigen offiziellen Parteigremiums handelt, kommt dieser Festlegung der Parteispitze der SPÖ grundsätzliche Bedeutung zu.

"Zukünftige Vertragsänderungen, die die österreichischen Interessen berühren, sollen durch eine Volksabstimmung in Österreich entschieden werden. Sollte also ein geänderter Reformvertrag neuerlich von Österreich ratifiziert werden müssen, so wollen wir den Koalitionspartner von dieser Vorgangsweise überzeugen."

Mehrdeutiger Wortlaut

Der Wortlaut dieser Verwendungszusage ist mehrdeutig. Zum einen berührt im Grunde jede neuerliche Vertragsänderung österreichische Interessen, sodass damit auch für nicht vitale Interessenlagen ein Referendum gefordert werden könnte.

In Artikel 44 Absatz 3 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) ist ein Referendum wohlweislich aber nur für den Fall von Gesamtänderungen der Bundesverfassung verpflichtend vorgesehen. Auch was unter einem "geänderten Reformvertrag" verstanden werden soll, ist nicht eindeutig. Zum einen heißt der frühere Reformvertrag nunmehr Vertrag von Lissabon, zum anderen kann dieser in verschiedenen Formen geändert werden.

Die gängigste Form der Vertragsänderung geschieht durch das formelle Novellierungsverfahren des Artikel 48 EU-Vertrag, aufgrund dessen eine Regierungskonferenz einen neuen Vertragstext ausarbeitet, den in der Folge alle Mitgliedstaaten ratifizieren.

Daneben kann es auch im Gefolge von Beitritten zur EU zu Vertragsänderungen kommen, da durch den jeweiligen Beitrittsvertrag und die mit diesem verbundene Beitrittsakte der Vertrag von Lissabon ebenfalls geändert wird. Damit würde auch der nächste Beitritt, zum Beispiel der Kroatiens, unter Umständen referendumspflichtig sein. Die in diesem Zusammenhang relevante Frage ist nun die, ob es dabei nur zu "beitrittsbedingten" oder auch zu weitergehenden Änderungen kommen darf. Die Lehre ist diesbezüglich uneinheitlich, ein Teil der Autorenschaft nimmt aber auch hier an, dass die Mitgliedstaaten als "Herren der Verträge" umfangreichere Vertragsänderungen vornehmen können.

Gemeint sind im Brief allerdings wohl nur Änderungen, die im formellen Vertragsänderungsverfahren zustande kommen, sodass es vor allem darauf ankommen wird, welche Zugeständnisse man den Iren im Falle eines zweiten Referendums machen kann. Um neuerliche "Betriebsunfälle" auszuschließen, wird man in diesem Zusammenhang nur Gemeinsame Erklärungen etc. verwenden, die keine Vertragsänderung bedeuten - wie dies bereits 2002 gegenüber Irland einmal der Fall war und auch zum gewünschten Ergebnis geführt hatte.

europarecht@wienerzeitung.at