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Der Bulle von Sofia: Wir schützen ganz Europa

Von Martyna Czarnowska, Sofia

Europaarchiv

Bojko Borissov weiß zu inszenieren. Im Büro des Polizeichefs und Generalsekretärs im bulgarischen Innenministerium hängt auf einer Sessellehne eine kugelsichere Weste neben Handschellen. Auf dem Tisch steht - halbiert wie eine ausgehöhlte Ananas - ein dunkelbraun gegerbter Stierhodensack. Sein Image als oberster Mafia-Jäger festigt Borissov nicht zuletzt durch zahlreiche Auftritte in bulgarischen Medien, die ihn als Star feiern. Im Interview mit der " Wiener Zeitung " spricht er über Korruption und seine Probleme mit der Justiz.


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Korruption in Bulgarien? General Bojko Borissov hebt ein wenig die linke Augenbraue, als er das Wort hört. Bequem hat er sich in seinen Fauteuil zurückgelehnt. Für Medien nimmt er sich Zeit, obwohl er eigentlich keine hat. "Die Korruption in Bulgarien ist wahrscheinlich genauso groß wie in anderen EU-Ländern", sagt Borrisov. "Das kann ich für das Innenministerium behaupten."

Dort residiert der 45-jährige einstige Polizeioffizier und Trainer der nationalen Karate-Mannschaft seit 2001. In seinem Büro ist neben dem Schreib- und Konferenztisch für ein Dutzend Gäste auch noch für eine Sitzgruppe Platz. An den Wänden hängen Diplome und Fotos: Borissov mit Staatschefs, Sportlern und dem betagten Papst Johannes Paul II. "Ihn habe ich auch beschützt", erläutert der General. Im Jahr 1991 gründete er eine private Sicherheitsfirma, mittlerweile eine der größten des Landes. Schon zuvor war er für die Sicherheit des langjährigen - und letzten - kommunistischen Parteiführers Todor Schivkov zuständig.

Nun bekämpft er die Kriminalität im EU-Beitrittsland Bulgarien. Im Korruptionsindex der Organisation Transparency International platzierte sich der Staat im Vorjahr auf Rang 54 von 146 - neben Mauritius und Namibia, aber vor den neuen EU-Mitgliedern Lettland, der Slowakei und Polen. Im Empfinden vieler Bulgaren sind es der Gesundheits- und Bildungsbereich, wo ohne Bestechung nur wenig zu erreichen ist.

Scotland Yard auch dabei

Doch davon will Borissov nicht sprechen. Er bevorzugt sein Gebiet. "Bei der Polizei gibt es keine großen Probleme mehr, das bestätigen auch unsere britischen Kollegen. Sie können gleich mit einem reden", meint er, geht zum Telefon und bittet seine Sekretärin um eine Verbindung. "Wir arbeiten mit Scotland Yard zusammen, zwei englische Offiziere haben hier ein Büro. Wir gehen allen Hinweisen nach, die an uns herangetragen werden. In den letzten Jahren haben wir mehr als 250 Beamte gekündigt und vor Gericht gestellt."

Mit der bulgarischen Justiz hat der Polizeichef allerdings Probleme. Nicht nur er: Auch die EU-Kommission mahnt zur Umsetzung der notwendigen Justizreform. Sorgen bereiten etwa die Ermittlungsphase, Doppelgleisigkeiten und der lange Instanzenweg. Und Bojko Borrisov kann nichts dafür, dass die Verbrecher, die er fängt, noch lange auf freiem Fuß sein können: "Es ist nicht unsere Schuld, dass wir die demokratischste Gesetzgebung haben." Ein "aufschlussreiches Beispiel" sei etwa der Fall eines Autohehlers: 1997 wurde er festgenommen, 2002 zu zehn Jahren Haft verurteilt, Berufungen folgten, und erst in der Vorwoche wurde ein weiteres Urteil gefällt. In der Zwischenzeit könne der Mann weitere Verbrechen begehen. "Durchschnittlich werden Urteile erst zehn Jahre nach der Verhaftung gefällt", erklärt der General: "Das ist mein Konflikt mit den Gesetzen."

Verschiebung nütze EU nicht

Dennoch glaubt er an eine baldige Änderung des Strafgesetzbuches. Immerhin hängt nicht zuletzt davon der planmäßige EU-Beitritt Bulgariens ab. Doch auch die Europäische Union hätte keinen Nutzen davon, die Mitgliedschaft des Landes um ein Jahr auf 2008 zu verschieben. "Bulgarien wird zur Außengrenze der EU zu Asien. Damit schützen wir auch Österreich", unterstreicht Borissov. "Wir investieren viel Geld, um Verbrecher von anderen EU-Staaten fern zu halten. Nur im letzten Jahr haben wir allein mit der Türkei so viele Aktionen durchgeführt wie europaweit niemand sonst."

Auf die Erfolge seiner Arbeit verweist der Polizeichef gern. Im Vorjahr wurden 30 Falschgeld-Druckereien ausgehoben; massiv werde der Drogen- und Menschenschmuggel bekämpft. Erst vor wenigen Tagen wurden bei der Operation Chamäleon, an der zwölf europäische Länder beteiligt waren, 605 kg Heroin beschlagnahmt und synthetische Substanzen im Wert von Milliarden Euro. "Wir arbeiten Tag und Nacht", sagt Bojko Borissov - und lächelt dabei nicht.

Als Anekdote erzählt er dennoch gern eine Geschichte, die den österreichischen Kollegen weniger gefällt. Mit bulgarischer Hilfe wurde eine Geldfälscher-Bande dingfest gemacht. Doch einer der Täter konnte aus der Haft in Wien entkommen, indem er sich einem falschen Anwalt vorführen ließ. "Wir fangen die Leute, und die Österreicher lassen sie wieder laufen", kommentiert Borissov - und schmunzelt dann doch.

Das Telefon läutet. Am Apparat ist "der britische Kollege". Borissov schaltet auf Lautsprecher. "Das Ministerium hat in den letzten Jahren viel Arbeit geleistet", bestätigt David Wolstenholme. "Dennoch muss noch einiges getan werden. Korruption manifestiert sich auf verschiedene Arten, und sie wird in der Bevölkerung noch allzu sehr toleriert." Ein Beispiel dafür liefert allerdings nicht er, sondern ein bulgarischer Taxifahrer. Es komme nicht selten vor, dass ein Streifenpolizist auf eine Strafe bei Geschwindigkeitsüberschreitung verzichtet - für eine finanzielle Zuwendung. Bei einem Gehalt von vielleicht 200 Euro nicht unbedingt verwunderlich.

"Klar müssen wir die Gehälter heben", räumt Bojko Borissov ein. "Nicht umsonst wollen die meisten Menschen in Bulgarien in die EU." Dass er sich dafür schon bald als Politiker einsetzen könnte, kommt ihm eher ungelegen. Premier Simeon Sakskoburggotski hat ihn zu einem Spitzenkandidaten der regierenden Nationalen Bewegung für die Parlamentswahl am 25. Juni gemacht. Borissov war auch sein Bodyguard, noch bevor der ehemalige exilierte König Ministerpräsident wurde.

Polizeiarbeit statt Politik

"Der Premier hat mich auf die Liste gesetzt", stellt der General klar. "Doch ich habe kein Interesse an einer politischen Karriere. Ich möchte wieder ins Innenministerium zurück. Wir haben hier viel erreicht und können in zwei, drei Jahren noch mehr erreichen." Und die EU-Staaten, die Bulgarien Mängel vorwerfen, sollten nicht so überheblich sein. Wo seien sie denn vor 50, 60 Jahren gestanden?

Seine bequeme Sitzhaltung hat Borissov in der Zwischenzeit schon längst aufgegeben. Die zwei Damen und zwei Herren, die eintreten, konnte er nicht länger im Vorraum warten lassen. Er stellt sie als amerikanische Geheimdienstmitarbeiter vor. Wie gesagt, die Zusammenarbeit mit anderen Ländern ist intensiv.