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Im Verhältnis zwischen Politik und Bürgern knirscht es, und das noch dazu vernehmlich. Mit dem Hinweis, dass dies schon immer so war, ist es nicht getan. Vieles deutet darauf hin, dass der Vertrauensverlust zu tief geht, als dass man einfach so weitermachen könnte wie bisher.
Es beginnt damit, dass die Politik die Bürger unterschätzt. Sträflich noch dazu. Ja, Themen müssen einfach und einprägsam formuliert werden. Mit vorsätzlicher Irreleitung und Falschinformation hat das aber nichts zu tun. Und der Hinweis auf ideologisch unterschiedliche Perspektiven sollte schon gar nicht als Entschuldigung für das bewusste Verdrehen von Tatsachen hingenommen werden. Das Sein ist keine bloße Frage des Bewusstseins.
Die Geringschätzung der Bürger durch die Parteien geht sogar so weit, dass der Mensch nur noch auf seine Primärinstinkte reduziert wird - und die sind nun einmal vorwiegend niederer Natur: Gier nach immer mehr, Neid auf das Glück der anderen, Besitzstandswahrung, Misstrauen und und und.
Dass der Bürger ein Wesen mit höheren Idealen sein könnte, diese zumindest nach 2500-jähriger philosophischer Erkenntnissuche nicht a priori von der Hand zu weisende Möglichkeit, findet in der politischen Auseinandersetzung keine Berücksichtigung mehr. Diese Dimension des Menschen ist fast vollständig aus dem Streit der Parteien verschwunden und muss - in höchst unregelmäßigen Abständen - um Asyl in den Feuilletonteilen der Medien ansuchen.
Es geht auch anders: In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776 findet sich folgende Einleitung: "Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit."
Pathos pur, und das ganz bewusst - in einem der zentralen politischen Dokumente der westlichen Führungsnation.
Am Pathos wird die Welt anno 2011 mit Sicherheit nicht genesen, aber ganz ohne wird es auch nicht leichter, den Weg aus der größten Weltwirtschaftskrise seit bald hundert Jahren zu finden. Schließlich geht es darum, die Frage der Gerechtigkeit in unseren Gesellschaften neu zu stellen - und was diese Herausforderung für unsere Bildungs-, Solidar- und Wirtschaftssysteme bedeuten wird. Eine Politik, die den Bürger nur auf seine Instinkte reduziert, wird keine Antworten finden. Und wenn, dann die falschen.