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Der Clash of Cultures in Organisationen ist vorprogrammiert

Von Julia Culen

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Julia Culen ist geschäftsführende Gesellschafterin der Beratergruppe Neuwaldegg.

Während sich die externe Welt dramatisch verändert, treffen wir viel zu häufig Organisationen mit herkömmlichen hierarchischen Strukturen an.


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Wann kippen Systeme eigentlich? Was sind die Voraussetzungen für sogenannte X-Events? Prof. John Casti, Experte für Komplexität, Systemtheorie und extreme Ereignisse, hat die folgende Erklärung: Die Weltgesellschaft ist immer komplexer gestaltet und dichter vernetzt. Diese Entwicklung ist unaufhaltbar und potenziell riskant, wenn zwei miteinander verwobene Systeme stark unterschiedliche Komplexitäten aufweisen.

Ein Lehrbuch-Beispiel dafür sind die Ereignisse des Arabischen Frühlings: Die Kontrollmechanismen arabischer Regimes konnten mit der hochgradigen Vernetzung der aufbegehrenden Bevölkerung nicht mehr Schritt halten. Twitter, Facebook und Co. haben einen entscheidenden Unterschied erzeugt. Casti setzt auf das Konzept der creative deconstruction: Extreme Events seien notwendig, um eine Neuordnung zu ermöglichen.

Für uns drängt sich da berufsbedingt die Frage auf: Wann und wie könnten diese Dynamiken in Organisationen schlagend, bedrohlich oder auch nutzbar werden? Ein Blick auf heimische Unternehmen und Institutionen ist erhellend: Während sich die externe Welt dramatisch verändert, digital vernetzt und Kommunikation und Interaktion nach komplett neuen Paradigmen funktioniert, treffen wir viel zu häufig Organisationen mit herkömmlichen hierarchischen Strukturen und Kontrollmechanismen an. Die in keinster Weise auf die volatile, digitale und vernetzte Welt ausgerichtet sind. Gesperrte Internetseiten, überwachte Kommunikation, technisch kontrollierte Anwesenheiten, Systemkritik unerwünscht bis nachteilig.

Entspricht das jetzt schon nicht mehr dem Zeitgeist, so ist ein Großteil der Mitarbeiter dennoch zumindest daran gewöhnt: Was passiert jedoch, wenn die "digital natives" in Organisationen eintreffen? Diese bewegen sich problemlos in der digitalen und der relativen Wirklichkeit und was sogar noch schlagender als der digitale Wandel anmutet, ist ein ausgeprägter Wertewandel: Hierarchie hat wenig Bedeutung, Autorität wird von der Community "verliehen", ein hoher Sinn- und Inhaltsanspruch, Kollaboration statt Wettbewerb.

Spaß, Freude und die individuelle Entwicklungsperspektive sind gefragt. Traditionelle Karrierewege? Uninteressant. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit? Auf keinen Fall. Employer Branding? Fehlanzeige: Auf kununu.com und Co. werden Arbeitgeber ungeschminkt bewertet, anonym und von den eigenen Mitarbeitern, ähnlich wie Hotels.

Sprechen wir diese Themen in den Top-Ebenen an, stoßen wir oftmals auf Unverständnis. Das Thema ist eigentlich kein Thema: Weder die Bedrohung noch die Chancen und die enorme Innovationskraft und das Potenzial sind im kollektiven organisatorischen Bewusstsein verankert. Ausnahme sind die Human-Resource-Manager: Diese bekommen bereits einen Vorgeschmack von veränderten Erwartungen und Ansprüchen. Wir dürfen also gespannt sein, ob wir einen Clash of Cultures - ein X-Event - erleben oder die Veränderungen evolutionär vorangehen werden. Garantiert ist, dass sich Kompetenzen, Bedürfnisse und Gewohnheiten der "digital natives" - und nicht nur dieser - die Organisation von Arbeit nachhaltig verändern werden.