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Der Clown ist müde

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Beppe Grillo zieht sich zurück. Premier Renzi könnte das nützen.


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Rom. "Ich bin müde, wie Forrest Gump sagen würde", hat Beppe Grillo neulich in seinem in Italien viel gelesenen Blog geschrieben. Der war lange für die Anhänger seiner 5-Sterne-Bewegung eine Art Bibel. Nach dem Erfolg bei der Parlamentswahl im Februar 2013, bei der die alternative Bürgerbewegung auf Anhieb stärkste Kraft im italienischen Parlament wurde, haben sich nach knapp zwei Jahren in der parlamentarischen Verantwortung die ersten großen Verschleißerscheinungen eingestellt. "Wir brauchen mehr Energie und Enthusiasmus", schrieb Beppe Grillo. "Ich, das Campingmobil und der Blog reichen nicht mehr aus." Der Gründer, brüllende Faun und längst nicht mehr unumstrittene Anführer will sich zurückziehen. Wie der Filmheld Forrest Gump, dem erst nach jahrelangem Lauf durch die USA der Atem ausging.

Die 5-Sterne-Bewegung war eine spannende, verstörende und manchmal sogar vielversprechend wirkende Alternative zum oft skandalösen italienischen Politikbetrieb. Es wirkte, als wollten vor allem junge, über Vetternwirtschaft und Geschäftemacherei erboste Bürger in Sorge um ihr Land selbst die Zügel in die Hand nehmen. Das ist wohl auch immer noch der Fall, doch die Protagonisten dieser selbst erklärten Anti-Partei, denen einst 25 Prozent der italienischen Wähler ihr Vertrauen schenkten, müssen nun bei allem Aufwand feststellen: "Wir kreisen seit Monaten um uns selbst." So formulierte es jüngst ein Abgeordneter. Bei den Regionalwahlen in der Emilia-Romagna und in Kalabrien kamen die Grillo-Kandidaten gerade einmal auf 15 respektive 5 Prozent.

In den Spalten der Tageszeitungen kommen die 5-Sterne-Aktivisten kaum noch mit politischen Inhalten vor. Es geht fast ausschließlich um innere Querelen und Ausschlüsse von Abgeordneten. Erst verbot Grillo den Seinen TV-Auftritte, jetzt werden Abgeordnete geschasst, die der Abmachung nicht nachkommen, ihre Abgeordnetendiäten zum Großteil an einen Fonds für kriselnde Kleinunternehmer weiter zu leiten. Doch viele Beobachter erkennen darin nur einen Vorwand, missliebiges Personal loszuwerden, das sich der Grillo-Doktrin widersetzt.

Autokratie statt Basisdemokratie

Denn so lautet der Hauptvorwurf der Kritiker: Die als basisdemokratisch getarnte Bewegung wird autokratisch vom Blogbetreiber Grillo und seinem Kompagnon, dem kruden Unternehmer Gianroberto Casaleggio geführt. Der jüngste Streit umschreibt die neue Bewegungslosigkeit der 5-Sterne-Bewegung treffend. Grillo präsentierte in seinem Blog ein fünfköpfiges Führungsgremium mit ihm treu ergebenen Abgeordneten, mit denen er sich über künftige Entscheidungen abstimmen wolle. Zwar stimmten angeblich 91 Prozent der etwa 37 000 nicht näher bestimmbaren "Blog-Mitglieder" für den Fünfer-Rat. Über den Sinn eines solchen Direktoriums und dessen Besetzung konnten sich die Aktivisten vorher aber nicht beraten. Die Partei, die nie Partei sein wollte, streitet nun darum, ob Grillos Verzicht ein Schritt in die richtige Richtung sein könnte oder doch nur den jüngsten der unzähligen Befehle von oben darstellt.

Von den 109 Abgeordneten und 54 Senatoren der 5-Sterne-Bewegung wurden auf Initiative Grillos bereits 22 per Online-Votum ausgeschlossen. Wie es heißt, stehen inzwischen bis zu 40 unzufriedene Parlamentarier vor dem Absprung, die sich nicht mehr in Grillo, sondern in sogenannten Dissidenten wie dem Bürgermeister von Parma, Federico Pizzarotti, wiedererkennen. Auch für den Fortgang der Reformbemühungen von Ministerpräsident Matteo Renzi (Demokratische Partei) sind die Auflösungserscheinungen in der 5-Sterne-Bewegung von großem Interesse. Der bisherige Reformpartner Silvio Berlusconi bockt bei der Verabschiedung eines dringend benötigten, neuen Wahlgesetzes, weil er fürchtet, der Ministerpräsident werde anschließend sofort Neuwahlen provozieren. Renzi umgarnt bereits die ehemaligen "Grillini". Die Abtrünnigen könnten bei den Verfassungsreformen und der Wahl eines neuen Staatspräsidenten bald das entscheidende Zünglein an der Waage sein.