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Der Countdown läuft

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Regierungschef lockt mit zahlreichen Versprechen in die Unabhängigkeit.


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Glasgow. Geht es nach der schottischen Regierung, wird die Welt am 24. März 2016 einen neuen Staat erhalten. An diesem Tag soll Schottland unabhängig werden - so die Schotten sich bei ihrer Urabstimmung im September nächsten Jahres für eine eigenständige schottische Nation entscheiden.

Monate vor diesem Referendum hat nun das Ringen um die Trennung Schottlands von England allen Ernstes begonnen. Um Schottland in die Unabhängigkeit zu führen, hat Regierungschef Alex Salmond am Dienstag in Glasgow seine Blaupause für eine unabhängige Zukunft Schottlands - ein 670 Seiten dickes Programm - vorgelegt.

Bei der Vorstellung des Unabhängigkeits-Plans suchte Salmond seinen Landsleuten Geschmack auf "eine demokratischere, wohlhabendere und fairere Gesellschaft" im Norden der Britischen Inseln zu machen. Ein von London unabhängiges Schottland soll in sozialer Hinsicht andere Schwerpunkte setzen können als England, "sein Schicksal selbst bestimmen", sich mit "schottischem Öl" über Wasser halten und sich aller Atomwaffen entledigen. Es soll sich außerdem - anders als der Rest des Vereinigten Königreichs - eine feste Verfassung geben.

Salmond, der auch Vorsitzender der Schottischen Nationalpartei (SNP) ist, bemühte sich vor allem darum, Ängste vor der Auflösung der immerhin 306 Jahre alten Union mit England auszuräumen. So soll ein unabhängiges Schottland die Königin als Staatsoberhaupt behalten. Grenzkontrollen zu England soll es auch künftig nicht geben. Wie bisher schon zwischen Großbritannien, der Republik Irland, der Isle of Man und den Kanalinseln soll weiter eine "Zone der Freizügigkeit" existieren. Einen schottischen Pass wird nur zücken müssen, wer diese Zone zur Reise in andere Weltgegenden verlässt.

Auch am Pfund, der britischen Währung, will die SNP vorerst festhalten. Die Bank von England soll letzte Währungs-Garantin auch für Schottland bleiben. Einen "fairen Anteil" der britischen Staatsverschuldung würde Schottland übernehmen. An der Finanzierung gewisser britischer Botschaften, in denen die Schotten separat vertreten wären, könnte sich ein unabhängiges Schottland beteiligen. An 70 bis 90 Orten will das neue Schottland mit eigenen Botschaftern vertreten sein.

BBC weg, Queen darf bleiben

Die BBC jedoch will Salmond in Schottland durch ein neues, eigenes Rundfunksystem ersetzen. Das britische Nordsee-Öl beansprucht Schottland zu 90 Prozent für sich. Die just von London privatisierte britische Post soll wieder verstaatlicht werden. Das wird von der SNP-Regierung als Teil der Überführung Schottlands auf "sozialeres Terrain" betrachtet. Herbe Kürzungen im Sozialbudget, wie sie von der Regierung Cameron in London in den letzten drei Jahren vorgenommen wurden, sollen wieder rückgängig gemacht werden.

Schon bisher kommt Schottland ohne die jährlichen Studiengebühren von 9000 Pfund aus, die an englischen Universitäten verlangt werden. Anders als in englischen Apotheken muss man in schottischen auch keine Rezept-Gebühr für Arznei bezahlen. Die freie Pflege für alte Menschen und für Kleinkinder in Schottland, die bereits eingeleitet wurde, soll außerdem weiter ausgedehnt werden.

Von den Kritikern der drei großen britischen Parteien ist Salmonds Blaupause allerdings als "Hirngespinst" verspottet worden. Konservative, Labour-Leute und Liberaldemokraten setzen sich nachdrücklich dafür ein, dass Schottland Teil des Königreichs bleibt. Sie bezweifeln, dass ein separates Schottland die wirtschaftliche Kraft hätte, um sich seine hochfliegenden Träume zu erfüllen. Das Öl würde "bald genug versiegen", argumentieren sie. Schottland fehle die industrielle Basis. Die Unabhängigkeit würde die Schotten teuer zu stehen kommen.

Vor allem wird um den Verbleib Schottlands in einer gemeinsamen "Sterling-Zone" gestritten. Es sei "völlig unrealistisch", meinte gestern Ex-Schatzkanzler Alistair Darling, der die Gegner der Unabhängigkeit anführt, Edinburghs Finanzpolitik von einer Bank "im Ausland" abhängig zu machen. Salmond, meinte Darling, lebe "in einer Phantasiewelt".

Auch Praktikalitäten beim Wiederanschluss an Nato und EU sind umstritten. Beiden Organisationen soll auch ein unabhängiges Schottland wieder angehören. Ursprünglich hatte Salmond gehofft, dass Schottland einfach Mitglied dieser Verbände bleiben könne. Ein unabhängiges Schottland muss beiden aber offenbar neu beitreten.

Ob die Mehrheit der Schotten dieser Vision nächstes Jahr zustimmen wird, ist bislang ungewiss. Meinungsumfragen sagen der SNP eine deutliche Niederlage voraus. Viele Schotten haben sich aber offenbar noch nicht entschieden. Darling und die "Parteien des Südens" befürchten, dass es doch noch zu einem Überraschungserfolg Salmonds kommen könnte.