Die krisengeschüttelte Republik Malawi steht vor einer Hungersnot. Eine tödliche Mischung aus Naturkatastrophen, Verschuldung und politischen Skandalen bedroht das Leben von Zehntausenden Menschen in Südostafrika. Unreifer Mais und Gras bleiben oft als einzige Nahrung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Die Menschen haben nichts zu essen. Sie ernähren sich von grünem Mais und Gras." Mit diesen eindringlichen Worten wandte sich Judith Lewis, die Regionaldirektorin des World Food Programme (WFP), Ende April in einer Pressekonferenz in Johannesburg an die Öffentlichkeit, um vor einer humanitären Katastrophe in Malawi zu warnen. Seit Jahresbeginn starben bereits Tausende Menschen an chronischer Unterernährung und der grassierenden Cholera. Jetzt versucht das WFP Spendengelder für die Nahrungsmittelversorgung von vier Millionen Menschen zu organisieren.
Nach Jahren der Dürre war es schon im Vorjahr zu Überschwemmungen, Ernteausfällen und anschließender Trockenheit gekommen. In dem zu 80 Prozent von der Landwirtschaft abhängigen Staat ist die 10 Millionen zählende Bevölkerung nach neuerlichen Umweltkatastrophen mittlerweile gezwungen, die ohnehin spärlich heranreifende Maisernte zu verzehren. Das WFP spricht von einem "grünen Hunger", denn die grünen Kolben machen nicht satt. Den Erntebeginn Anfang Juni abzuwarten, würde für viele den Tod bedeuten. Um das eigene Überleben kämpfende Bauern bewachen und verteidigen Tag und Nacht ihre Felder, um Plünderer anzuwehren. Wen die Verzweiflung trotzdem zum Diebstahl drängt, bezahlt oft mit dem Leben.
Teure Schulden
Die Regierung, die unter dem 1994 in den ersten demokratischen Wahlen legitimierten Präsidenten Bakili Muluzi amtiert, steht vor einem Scherbenhaufen. Nach dem Ende der rechtsgerichteten Diktatur unter Hastings Banda wollte man mit einem ambitionierten Programm zur Armutsbekämpfung beginnen. Doch der Agrarsektor, mit Großplantagen und einer kleinbäuerlichen Subsistenzwirtschaft samt einer staatlichen Vermarktungsorganisation für das Hauptexportprodukt Tabak, blieb unangetastet. Niedrige Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Produkte und die drückende Verschuldung brachten das Budget in Bedrängnis.
Auf Druck der Kreditgeber, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) mussten die erst vor acht Jahren eingeführte Maßnahmen zur Verbesserung des Bildungs- und Gesundheitswesens wieder um ein Drittel gekürzt werden. Auch das Verhältnis zwischen Schuldentilgung und Entwicklungshilfe verschlechterte sich zunehmend. 1998 zahle Malawi für jeden US-Dollar an Entwicklungshilfe wieder 39 Cents an seine Gläubiger. Nach Angaben von "Jubilee 2000" - einer NGO, die sich für den Schuldenerlass der ärmsten Länder der Welt einsetzt - wendet Malawi doppelt so viel Geld für Kreditrückzahlungen auf als für sein Gesundheitswesen.
Eine Erhebung unter den malawischen Haushalten ergab für 1998 ein ernüchterndes Bild: 6,5 Mill. Einwohner gelten als "arm", denn ihnen stehen zur Deckung der lebensnotwendigen Grundbedürfnisse täglich nur 10 Eurocents zur Verfügung. Weitere 2,8 Mill. Malawier haben noch weniger: sie gelten als "absolut arm". Alle Sozialstatistiken weisen in den letzten Jahren einen Negativtrend aus: die Alphabetisierungsrate liegt bei 58 Prozent; gerade mal 11% der Männer können einen Hauptschulabschluss vorweisen, bei den Frauen sind es gar nur 6%. Die Lebenserwartung ist zwischen 1996 und 2000 von 43 auf 39 Jahre gesunken. Die Kindersterblichkeit ist dramatisch. Jedes dritte Kind erlebt seinen fünften Geburtstag nicht.
Hinzu kommt eine voranschreitende HIV-Ausbreitung. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen schätzt, dass jeder sechste Malawier mit dem HI-Virus infiziert ist. Jährlich sterben 80.000 Menschen an der Krankheit.
"Good governance" gefragt
Ein Teil der Misere ist auch hausgemacht. Gegen Präsident Bakili Muluzi und seine Regierung haben ausländische Geberorganisationen massive Korruptionsvorwürfe erhoben. Auf Druck der Weltbank und des IWF wurden schon mehrmals Regierungsmitglieder entlassen, zuletzt musste der Finanzminister im Jänner aus dem Amt scheiden.
Die Aufwendungen für die überproportionale 39-köpfige Regierungsmannschaft und die nicht nachvollziehbare Verwendung von Entwicklungshilfegeldern laufen dem Prinzip von "good governance" der Spendenländer geradezu entgegen. Der IWF hält weiterhin 58 Mill. Dollar wegen des nicht erfüllten malawischen Reformpakets zurück. An der IWF-Entscheidung orientiert sich auch die Europäische Union. Großbritannien, Malawis ehemalige Kolonialmacht, blockiert eine Finanzhilfe von 18 Mill. US-Dollar. Auch "Danish Aid" setzt seine Kooperation solange aus, bis volkswirtschaftliche Veränderungen gesetzt werden. Mittlerweile nimmt der Amtsstil des Präsidenten immer mehr autoritäre Züge seines Vorgängers an. Regierungskritische Demonstrationen werden mit Tränengas und Schusswaffengebrauch aufgelöst. Trotz eines Verbots in der Verfassung strebt Muluzi 2004 eine dritte Amtsperiode an.
***
Bernhard Bouzek ist Mitarbeiter des Dokumentations- und Kooperationszentrums Südliches Afrika (SADOCC).
Info: http://www.sadocc.at