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Privatsphäre, Staatenfreundschaft und nationale Interessen: Die umfassende US-Spionage macht deutlich, was der Status einer Supermacht bedeutet.
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Wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, drängt sich angesichts telefonierender Mitreisender leicht die Frage auf, ob denn der Schutz der Privatsphäre nicht ohnehin ein vernachlässigbares Gut geworden ist. Allerdings: Während der Zuhörer dem Mitteilungsbedürfnis der Fahrgäste eher hilflos ausgeliefert ist, kann doch die Person am Handy darüber entscheiden, ob die Öffentlichkeit über ihr Abendessen, ihr Liebesleben oder firmeninterne Intrigen informiert werden soll. Wenn hingegen die National Security Agency (NSA) mithört, entfällt diese Wahlmöglichkeit. Die NSA, die bis vor kurzem nur Spezialisten ein Begriff war, jagt offiziell Terroristen - aber wer hätte gedacht, dass diese (inoffiziell) etwa auch in EU-Vertretungen gesucht werden müssen?
Das Internet wird ja seit einigen Jahren als neuer Kriegsschauplatz ausgemacht. Aber man muss nicht darauf warten, dass die USA einen massiven Eingriff in ihre Computernetze mit höchst realen Waffen beantworten, wie sie gedroht haben, und dass die Nato laut eigenem Beschluss eine Hacker-Attacke auf eines ihrer Mitglieder als Angriff auf das ganze Bündnis wertet. Der Cyberwar tobt schon im tiefsten Frieden, und er wird nicht nur, wie oft kolportiert, vom bösen China betrieben. Freunde werden von der NSA ebenso ausspioniert wie Feinde. Und die Tatsache, dass Krieg spätestens seit dem 20. Jahrhundert auch die Zivilbevölkerung erfasst, erfährt nun auch im virtuellen Raum ihre Bestätigung.
Geahnt hat man es schon, und so mancher auch gewusst, wenn er es wissen wollte. Wenn sich etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der Enthüllungen durch Edward Snowden schockiert gibt, obwohl ihr Geheimdienst seit Jahrzehnten fröhlich mit seinen US-Pendants kooperierte, hat sie bestenfalls nicht näher nachgefragt. Gerade in der Zusammenarbeit der westlichen Nachrichtendienste unter US-Patronanz wird nämlich offenbar, dass der Kalte Krieg keineswegs in jeder Hinsicht vorbei ist, wie Merkel dies behauptet hat.
Aber vielleicht ist sogar die Kanzlerin wirklich überrascht über das Ausmaß, in dem die Geheimdienste (auch die britischen und französischen übrigens) heute nach privaten Daten fischen können. Und dass die NSA in ähnlicher Weise wie die Chinesen das zugleich mit Wirtschaftsspionage verbindet, kann Merkel auch nicht recht sein - jedenfalls nicht, wenn die Staatsführungen, wie jetzt oft Verständnis heischend gemeint wird, lediglich im Interesse ihrer Nationen handeln.
Im aktuellen Fall hat sich aber gezeigt, dass im globalisierten Zeitalter das nationale hinter dem internationalen Interesse zurücktritt. Sogar der Möchtegern-Imperator im Kreml, der fürs Heimpublikum gern seine Muskeln spielen lässt, hat gesagt, dass ihm die Beziehungen mit den USA letztlich wichtiger sind als irgendein Whistleblower, dem er deshalb auch nur bedingt Asyl bietet. Das Verhalten Wladimir Putins unterstreicht ebenso wie die Willfährigkeit der Europäer im Fall Snowden die singuläre Position der USA in der Welt. Da können die Chinesen noch lange werken, bis sie solchen Supermacht-Status erreichen.