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Der "denkunmögliche" Plan für Kassenstellen

Von Karl Ettinger

Politik

In der Gesundheitskasse werden die Ankündigungen von Kanzler und Gesundheitsminister massiv bezweifelt.


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Der Regierungschef wird nicht müde, den Österreichern noch heuer eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und des Zugangs zu Ärzten mit Kassenvertrag in Aussicht zu stellen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat mit Gesundheitsminister Johannes Rauch bei einem Besuch in einer neuen Primärversorgungseinrichtung für niedergelassene Mediziner diesbezüglich erneut eine Linderung der Misere mit 100 zusätzlichen Kassenarztstellen noch im heurigen Jahr zugesichert. Finanziert werden sollen diese aus mehr Mitteln aus dem Finanzausgleich. Währenddessen kommen aus der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) bemerkenswerte Warnungen. "Das ist denkunmöglich. Das geht sich mit der Vorlaufzeit gar nicht mehr aus", betont der oberste Arbeitnehmervertreter in der Gesundheitskasse, der SPÖ-Gewerkschafter Andreas Huss im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Hundert offene Kassenarztpraxen könnten heuer nicht mehr besetzt werden.

Noch heuer 100 Planstellen mehr "absolut unrealistisch"

In der Vorwoche hat auch bereits Peter Lehner, oberster Wirtschaftsvertreter in der Sozialversicherung, in der "ZiB 2" die Erwartungen gedämpft. Auch der ÖVP-Parteikollege Nehammers hat darauf hingewiesen, dass die Kasse schon jetzt Probleme beim Nachbesetzen offener Stellen hat.

Grundsätzlich liegt aber auch Huss mit der Bundesregierung von ÖVP und Grünen auf einer Linie, was die Einrichtung von mehr Kassenarztstellen im niedergelassenen Bereich betrifft. Der oberste Arbeitnehmervertreter hat bereits Anfang Jänner als Ziel letztlich 500 Kassenpraxen mehr genannt. Auf dem Papier könnten zwar rasch zusätzliche Kassenarztstellen vereinbart werden, erläutert er. Die Probleme tauchen aber bei der Umsetzung auf. Deswegen bezeichnet Huss die von der Regierung für noch für das zweite Halbjahr 2023 versprochenen 100 Planstellen als "absolut unrealistisch."

Die Mehrkosten für die von ihm angepeilte Erhöhung um 500 Kassenarztpraxen beziffert der rote ÖGK-Vertreter mit 255 Millionen Euro. Die Regierung hat mittelfristig sogar eine Aufstockung um 800 Kassenplanstellen angekündigt. Das Problem ist, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Wahlärzte deutlich zugenommen hat, während es etwa selbst in Wien schwierig ist, einen Kinderarzt mit Kassenvertrag zu finden, ganz abgesehen von Hausärzten in ländlicheren Regionen. Diese Lücken bei der Versorgung durch Kassenärzte und die in den vergangenen Monaten immer lautstärker vorgebrachten Klagen von Spitalsärzten und Pflegepersonal, dass in manchen Krankenhäusern oder zumindest Abteilungen der Betrieb gar nicht mehr aufrechterhalten werden kann, haben dazu geführt, dass der Bundeskanzler dieses Thema zuletzt zur Chefsache gemacht hat. Gesundheitsminister Rauch geht es vor allem darum, dass die Entwicklung hin zu einer Zwei-Klassen-Medizin gebremst wird, bei der sich Menschen mit höheren Einkommen schnelle Behandlungen bei Wahlärzten sichern, während Personen mit niedrigerem Einkommen auf einen Termin bei einem Facharzt mit Kassenvertrag monatelang warten müssen.

Huss wundert sich freilich auch, dass die erneute Ankündigung von Nehammer und Rauch in einer Primärversorgungseinrichtung für Kinder erfolgt ist. Denn die gesetzliche Grundlage für diese gebe es noch gar nicht, sondern frühestens ab 1. August. Weshalb er von einem Marketing-Gag spricht.

Mikl-Leitner gegen deutsche Medizinstudenten

Die akuten Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Hausärzten mit Kassenvertrag hat auch Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) auf den Plan gerufen. Nachdem die Bundesländer bereits einhellig von der Bundesregierung eine Verdoppelung der Plätze für das Medizinstudium von gut 1.800 auf 3.600 Plätze gefordert haben, das aber ohne Ergebnis auf Bundesebene blieb, preschte Mikl-Leitner nun mit einem anderen Vorschlag vor. Sie rüttelt an der Regelung, dass ein Teil der Medizinstudienplätze als EU-gemäße Variante für ausländische Studenten reserviert bleiben und wendet sich gegen sogenannte "Numerus- Clausus-Flüchtlinge". Das sind deutsche Studenten, die in Deutschland keine ausreichend guten Noten für das Medizinstudium haben und daher an österreichische Medizinuniversitäten ausweichen.