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Der Dialekt, den es gar nicht gibt

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Je stärker die Globalisierung und Internationalisierung voranschreiten, desto größer wird das Bedürfnis nach Heimat, nach den regionalen Wurzeln, nach kleinräumiger Identität.


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Hauptträger regionaler Identität ist die Sprache, insbesondere der lokale Dialekt. Jörg Mauthe konnte in seinem Wiener Knigge in den Sechziger-Jahren noch behaupten, dass man an der Sprachfärbung erkennen könne, aus welchem Bezirk einer kommt.

Wie schwer hat es damit das Bundesland Hessen, das einen Dialekt spricht, den es gar nicht gibt! Dialektforscher belegen, dass der hessische Sprachraum mindestens vier regionale Dialekte umfasst, die sich zum Teil so stark voneinander unterscheiden wie Wienerisch von Schwäbisch. Ausgerechnet in der internationalsten, wirtschaftlich und sozial dynamischsten Region Hessens - Frankfurt am Main und Umgebung - wird heute am meisten Dialekt gesprochen; zumindest außerhalb der Büros.

Auch wenn es also "das Hessische" gar nicht gibt, so hat sich doch eine mundartlich verfärbte Umgangssprache im ganzen Bundesland Hessen herausgebildet. Unter dem typischen Hessisch versteht man heute meist das Südhessische, bei dem es sich in Wahrheit um einen rheinfränkischen Mischdialekt handelt. Soweit Hessen auch Anteile am Rhein-Main-Neckar-Gebiet besitzt, wird dort ein Mischmasch aus hessischen, pfälzischen, alemannischen und ostfränkischen Elementen "gebabbelt".

Womit wir schon bei einer der berühmtesten Vokabeln des Hessischen wären: Das Babbeln für Sprechen. Dass der Ebbelwoi, der Apfelwein, so bekannt wurde wie der Bembel, die Steingutkanne, aus der er ausgeschenkt wird, liegt vor allem an so populären Fernsehsendungen wie dem 70er-Jahre Kult "Zum Blauen Bock".

Hier und in anderen Medien wird so getan, als spräche man das Südhessische im ganzen Bundesland, weshalb die Sprachforscher je nach Laune von "Fernsehhessisch" oder "Neuhessisch" sprechen.

Ihren Namen haben die Hessen nach mehreren Lautverschiebungen vom germanischen Volksstamm der Chatten geerbt, die um die Zeitenwende in ihrem Gebiet siedelten und später dem Volk der Franken eingegliedert wurden. Die ersten "Global Player" in Hessen waren iro-schottische Mönche, die im 7. Jahrhundert die Chatten christlich missionierten. Und bis heute ist dieses Land geprägt von Zuwanderung und "multi kulti".

Als Antwort auf die Globalisierung gibt es im Internet für englischsprechende Geschäftsreisende einen Sprachführer: "How to learn Hessian". Ein Blick auf den Buchstaben "S" könnte Ihre Lachmuskel strapazieren: Schnalle = to understand; also for female / Schnegge tschegge = to watch nice girls / Schnibbelsche = little piece / Schnuggelsche = cute girl / schwanger Lersch = fat person / sisch ablesche = to go to sleep / Stinkwatz = smelly person.

Die Aufweichung harter Konsonanten, etwa des "T" zum "D" oder des "P" zum "B", ist uns Wienern ja nicht ganz fremd. Vielleicht hegen wir deshalb dem Hessischen gegenüber mehr Sympathien als manch anderem Dialekt. Vielleicht auch, weil es sich so klar vom "preußischen" Niederdeutschen abgrenzt.

Schließen will ich meine heutige Sprachbetrachtung mit einer kleinen Anekdote, in der sich ein hessischer Vater mit seinen Kumpanen in der Kneipe darüber unterhält, wie man seinen Kindern das Lügen abgewöhnen könnte. "Des Beste is fier die Kinnä ähn gutes Vorbild abzugäwe", moante de Klausi, "was Anners gibts net". Na ja, hebb isch innerlisch zu mä gesoat, des is allerdings oft sä schwer, awä viellaacht sollte mä es mit de Ähziehung zur Ehrlischkaat aach net iwätreiwe.

Markus Kauffmann, seit rund

25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.