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Der Diktator und seine Henker

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv
Die blutigen Tage der Revolution. Die Rumänen gedenken der Wende 1989. Foto: reuters

Soldat Carlan erschoss Nicolae Ceausescu. | "Ich war der Vollstrecker einer historischen Mission." | Wien/Bukarest. Am 22. Dezember 1989 wird Nicolae Ceausescu zum ersten Mal in seinem Leben als Diktator niedergeschrien. Der rumänische Autokrat steht auf dem Balkon seines protzigen Amtssitzes, er spricht vor einer riesigen Menschenmenge, die zuvor ins Zentrum Bukarests gekarrt worden war.


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Plötzlich branden Protestrufe auf, daraus wird schnell ein einziger Sprechchor: "Nieder mit Ceausescu, Schluss mit der Diktatur". Die Liveübertragung im rumänischen TV wird sofort abgebrochen. Der Diktator ist sichtlich irritiert, mit schwachen Handbewegungen versucht er, sich beim Volk Gehör zu verschaffen. Ein Sicherheitsbeamter nimmt Ceausescu bestimmt am Arm und verfrachtet ihn samt seiner Frau Elena in einen auf dem Dach bereitgestellten Hubschrauber. Als die Ceausescus abheben, begleiten sie die Verwünschungen der aufgebrachten Menge.

Von diesem Zeitpunkt an hatte das Diktatoren-Ehepaar noch knapp vier Tage zu leben.

Viele Fragen offen

Dieser Tage gedenken die Rumänen der dramatischen Ereignisse vor 20 Jahren, die in Temesvar ihren Ausgang nahmen und schließlich die Schreckensherrschaft eines dem Cäsaren-Wahn Verfallenen beendeten. Der Systemwechsel in Rumänien erfolgte keineswegs friedlich, wie in anderen mittel-osteuropäischen KP-Diktaturen. Hier richteten Securitate-Männer, die mit dem Rücken zur Wand standen und umso erbitterter kämpften, ein Blutbad an. Es gab über 1000 Tote in Bukarest und Temesvar, wo Polizisten wahllos in die protestierende Menge schossen. Noch Jahre später glich das Bukarester Stadtzentrum einem Ruinenfeld, die Gebäude waren von Einschusslöchern durchsiebt und unbewohnbar.

Dabei ist immer noch ungeklärt, ob es sich bei den Ereignissen wirklich um eine spontane Volkserhebung oder doch um einen gesteuerten Putsch handelte. Noch immer weiß man nicht, warum wer in Temesvar auf wen geschossen hat. Noch immer sind die brutalsten Geheimdienstler auf freiem Fuß.

Sicher ist, dass viele führende Köpfe der gefürchteten Geheimpolizei heute in Staat und Wirtschaft hohe Positionen innehaben.

Sicher ist auch, dass die rumänische Bevölkerung in der Endphase des Regimes Ceausescu bittere Not litt. Die Reallöhne sanken kontinuierlich, unrealistische Jahrespläne wurden nicht annähernd erreicht. In den kalten Wintermonaten durften die Wohnungen nur bis 14 Grad geheizt werden. Im Winter 1989 fror ganz Rumänien, die Kinder saßen mit dicken Mänteln im Unterricht, Patienten lagen in eiskalten Krankenhäusern.

Das Todesurteil

Die Flucht der Ceausescus, zuerst per Helikopter, dann in einem Auto, misslang. Das Diktatoren-Ehepaar wurde noch am 22. Dezember von Soldaten im Ort Targoviste nördlich von Bukarest festgenommen. Am 25. Dezember sehen sich Ceausescu und seine Frau vor ein improvisiertes Kriegsgericht gestellt, das sie zum Tod verurteilt. Der Diktator wird des Völkermordes und der "Unterminierung der nationalen Volkswirtschaft" schuldig gesprochen. Der Prozess dauert knapp 90 Minuten, dann werden Nicolae und seiner Frau Elena die Arme mit Stricken an den Rücken gebunden. Beide wehren sich und beschwören die Soldaten, die sie in den Hof einer Kaserne bringen und an die Wand stellen. Die Szenen werden gefilmt.

Dorin Carlan war damals als einer von drei Soldaten an der Ceausescu-Exekution beteiligt. Heute lebt er mit seiner Frau in einer Ein-Zimmer-Wohnung in einem Bukarester Plattenbau - und fühlt sich übergangen. Er habe einen maßgeblichen Beitrag zum Umsturz geleistet, der nicht honoriert worden sei, sagt er. Für eine TV-Dokumentation tritt er vor die Kamera: Er hat damals das ganze Magazin seiner Kalaschnikow leergeschossen erinnert er sich, er sei der Vollstrecker einer heiligen, historischen Mission gewesen.