In den USA hat Trumps Wahl eine Renaissance des politischen Aktivismus eingeläutet.
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Washington. Für eine historische Analogie muss man mehr als vierzig Jahre zurückgehen. Nixon, 1973: Das war das bisher letzte Mal, dass eine namhafte Anzahl von Amerikanern auf die Straßen ihrer Hauptstadt ging, um gegen die Angelobung eines neuen Präsidenten zu protestieren. Das Land galt damals als innerlich schwer zerrissen. Während in Vietnam der Krieg tobte, den der Republikaner Richard Nixon eigentlich zu beenden gelobt hatte und trotzdem von der sogenannten "schweigenden Mehrheit" wiedergewählt wurde, wollten sich die Kinder der in den 1960ern erkämpften gesellschaftlichen Fortschritte diese nicht gleich wieder wegnehmen lassen.
Nur ein Drittel der Amerikaner findet Trump gut
Die Zahl jener, die nach Washington D.C. reisten, um gegen die Angelobung von Donald John Trump als oberstem Befehlshaber der US-Streitkräfte zu protestieren, lag schon relativ früh im sechsstelligen Bereich. Und im Laufe des Tages kam es bereits zu Ausschreitungen im Zuge von Demonstrationen. Realistisch gesehen bilden die Inauguration-Day-Proteste im District of Columbia aber nur den Auftakt zu dem, was an diesem Wochenende wie potenziell in den kommenden Jahren zur neuen Normalität in den USA werden dürfte: der Wiedergeburt eines politischen Aktivismus, der auf der Straße ebenso stattfindet wie im Netz.
Nachdem die Angelobung des Ex-Reality-TV-Stars auf einen regulären Arbeitstag fiel, finden die wirklich großen Demonstrationen erst am Wochenende danach statt. New York City, Los Angeles, Chicago, ja sogar Houston, Texas: In praktisch allen Großstädten der USA sind Protestmärsche angekündigt, denen sich aller Voraussicht nach Millionen von Bürgerinnen und Bürgern anschließen werden. So heterogen ihre Interessen auch sein mögen - so hat Trump etwa während des Wahlkampfs keine einzige ethnische Minderheit nicht nur mindestens einmal beleidigt, von der Art, was man sich seiner Meinung nach so alles mit Frauen erlauben kann, ganz zu schweigen -, eint sie der Widerstand gegen das neue Regime im Weißen Haus. Nämliches ließ bereits im Vorfeld der Inauguration keinen Zweifel darüber, wohin die Reise geht; und dass es dessen ungeachtet bereit ist, den Preis dafür zu zahlen.
Diversen Meinungsumfragen zufolge startet Donald Trump seine Amtszeit als US-Präsident als - mit Abstand - unbeliebtester, seit dies erhoben wird. Am Tag seines Einzugs in die 1600 Pennsylvania Avenue findet nur rund ein Drittel seiner Landsleute, dass der New Yorker Immobilienmogul einen guten Job macht. Zum Vergleich: Selbst die Werte des bisher letzten republikanischen Präsidenten George W. Bush, der selbst unter seinen eigenen Parteifreunden kaum mehr gelitten ist, lagen bei mehr als 50 Prozent.
"Das nächste Mal gewinnen wir auf die altmodische Weise"
Was in diesem Zusammenhang freilich nicht vergessen werden darf: Wurden lediglich Amerikaner befragt, die auch von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht hatten, klettern Trumps Beliebtheitswerte plötzlich auf über 40 Prozent. Was ihn nicht weniger unpopulär macht, aber verdeutlicht, wie es ihm überhaupt gelingen konnte, zu gewinnen. (Nach dem Letztstand der ausgezählten Stimmen der Wahl im November hat Hillary Clinton rund drei Millionen Stimmen mehr bekommen, aber aufgrund des Electoral-College-Systems verloren.)
Den Grund für die Proteste hat sich Trump indes allein selbst zuzuschreiben. Nicht nur wird sein aus Milliardären, Militärs und politischen Opportunisten zusammengesetztes Kabinett, das von allen namhaften Zeitungen aufgrund ihrer während der Anhörungen durch den Senat gezeigten, großteils totalen Inkompetenz schon jetzt als das "wahrscheinlich schlechteste aller Zeiten" ("Washington Post") erkannt, sondern zählt auch genau zwei Frauen, einen Afroamerikaner und, das erste Mal seit 1989, keinen einzigen Latino. Der Rest stammt ausschließlich aus derselben Gruppe alter weißer Männer, zu der Trump mit seinen 70 Jahren selber zählt.
Alles Ingredienzien, die die Grundlage einer umfangreichen Renaissance des politischen Aktivismus bilden, der sich in den Monaten seit der Wahl on- wie offline etabliert hat. Im Kontext der Widerstandsbewegung besonders interessant: Inwieweit sich in kommenden Monaten und Jahren die Interpretation verfestigt, dass Trump aufgrund der - mittlerweile von allen westlichen Nachrichtendiensten bestätigten - Interventionen des Kremls gewonnen hat und deshalb ein Präsident von Putins Gnaden sei.
Immerhin: Mittlerweile gibt sogar Trump zu, dass es im Wahlkampf nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Bei einem Galadinner für die Leute, die seinen Wahlkampf finanzierten - jenen Wahlkampf, von dem er behauptete, dass er ihn sich selber leisten könne -, das am Abend vor der Angelobung stattfand, versprach er: "Das nächste Mal gewinnen wir auf die altmodische Weise."