Der Kreml-Herr braucht die Separatisten für seine Großmachtspläne. Die Menschen in der Ostukraine leiden unter Chaos und Willkür.
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Jahrelang führten sie ein Schattendasein, jetzt sind sie in Russland jedem Schulkind ein Begriff: die Separatisten in der Ostukraine. Seit April 2014 kontrollieren sie Teile der Verwaltungsbezirke - Oblaste genannt - Donezk und Luhansk und kämpfen gegen die ukrainische Regierung. Kiew hat längst keinen Zugriff auf diese Regionen mehr. Jetzt hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Freischärler medienwirksam inszeniert und zum Hebel auserkoren, mit dem er schrittweise seine großrussischen Pläne umsetzen will. Der autoritäre Kreml-Herr stellte zunächst eine von der Ukraine ausgehende, unmittelbare Bedrohung in den Raum, erkannte die selbsternannten Volksrepubliken dann als unabhängig an und setzt russische Truppen in Marsch, um den vorgeblich Bedrängten zu helfen.
Es begann mit Protesten
Wobei die Unabhängigkeit nur ein vorläufiges Ziel der ostukrainischen Aufständischen ist. Resultat soll am Ende eine komplette Angliederung an Russland sein. Derzeit sind die Separatisten ihren Wünschen so nah wie noch nie.
Die Anfänge waren vergleichsweise bescheiden: In den Wirren des Regierungssturzes im Februar 2014 in Kiew forderten russischsprachige Demonstranten in der Schwerindustrie- und Bergbauregion im Osten mehr Autonomie innerhalb der Ukraine. Dass sie eine solche erhalten, war auch erklärtes Ziel des Minsker Protokolls, mit dem Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine bis zuletzt eine diplomatische Lösung des Konflikts erreichen wollten.
Doch das ist längst Geschichte.
Bei den führenden Köpfen der Separatisten handelte es sich zunächst um Ex-Geheimdienstler, gestandene Russen ganz nach Putins Geschmack. In Erscheinung traten Igor Girkin und Alexander Borosai, der es mittlerweile zum Duma-Abgeordneten gebracht hat. Später wurden die zentralen Stellen an eingesessene Ostukrainer übertragen. So haben die Luhansker Separatisten derzeit Leonid Passetschnik zum Chef, in Donezk steht der 39 Jahre alte Denis Puschilin an der Spitze.
Am Beispiel Puschilin ist erkennbar, wie ein perfektes Werkzeug Putins auszusehen hat: Der vollbärtige Mann soll zunächst in zwielichtige Finanzgeschäfte verwickelt gewesen sein, 2013 kandidierte er in Kiew bei Parlamentswahlen, erhielt aber nur 77 Stimmen. Nach der Ermordung des ursprünglichen Anführers von Donezk, Alexander Sachartschenko, übernahm Puschilin im Jahr 2018 dessen Funktion.
Die Separatistengebiete sind isoliert, sie können von Westen her von Zivilisten nur schwer betreten werden. Es gibt wenige Kontrollpunkte, die nur stundenweise an ein oder zwei Tagen in der Woche geöffnet haben. Wer passieren will, muss Gründe haben und auf einer entsprechenden Liste stehen. Die Region ist wirtschaftlich komplett von Russland abhängig, die Versorgung läuft ausschließlich über die russische Grenze mit mehreren Straßen- und Eisenbahnübergängen.
"Alle Männer zu den Waffen"
In Donezk und Luhansk ist man Ärger gewohnt, die Menschen leben ständig im Ausnahmezustand. Doch das jüngste, von Moskau orchestrierten Schauspiel sorgt für eine zusätzliche Verkomplizierung: Am Samstag wurde per Videobotschaft die Generalmobilmachung verkündet, alle Männer der Republiken, "die in der Lage sind, eine Waffe in der Hand zu halten" wurden einberufen, um "für ihre Familien, ihre Kinder, ihre Frauen, ihre Mütter" in den Kampf zu ziehen.
Die Zeitung "Nowaja Gaseta" - eines der wenigen unabhängigen russischen Medien - schreibt, dass diese Generalmobilmachung chaotisch abläuft. Das Blatt zitiert eine Bewohnerin von Donezk, die berichtet, dass in den vergangenen Tagen ein verschwindend geringer Teil der Wehrfähigen tatsächlich zu den Fahnen geeilt sei. Wo Männer rekrutiert werden konnten, hatte das massive Auswirkungen auf das öffentliche Leben. So seien Bedienstete der Verkehrsunternehmen verpflichtet worden, was einen kompletten Stillstand zur Folge gehabt habe. Die einzelnen Einberufungsämter, so die Informantin von "Nowaja Gaseta", hätten von den Unternehmen zwar Listen bekommen, wer zur Aufrechterhaltung der Produktion oder des öffentlichen Lebens nicht einberufen werden dürfe. Die Ämter würden diese Listen aber nicht kümmern, die "Schlüsselarbeitskräfte" trotzdem in Uniformen gesteckt. Teilweise werde die ganze Belegschaft einer Mine einberufen. Alkoholiker, die es dort zahlreich gibt, blieben "verschont". Teilweise würden aber auch Schwerkranke eingezogen.
Wenig Kriegsbegeisterung
Wer bei den Rekrutierungsbehörden angebe, eine wichtige Arbeitskraft zu sein, werde laufen gelassen, so die Informantin der "Nowaja Gaseta" - bekomme aber keine Entlassungspapiere. Damit ist der Betreffende ein Deserteur. Oft würden Wehrpflichtige von zu Hause abgeholt, um "strategische Einrichtungen" zu schützen. Dann werde diesen Personen das Handy weggenommen, damit kein Kontakt mit Angehörigen mehr aufgenommen werden könne.
Von Kriegsbegeisterung in Donezk und Luhansk berichtet die "Nowaja Gaseta" nichts, im Gegenteil: Die Allermeisten würden nicht kämpfen wollen. Bei den von Moskau groß ausgeschlachteten Fluchtbewegungen nach Russland habe es sich großteils um Inszenierung gehandelt, so die Zeitung. Die Menschen hätten mitgemacht, weil sie Geld bekamen. Zur Umsiedelung sei aber niemand gezwungen worden.