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Der Drang auf den Fahrersitz

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die saudischen Bürgerinnen kämpfen immer offensiver gegen das Fahrverbot für Frauen an. | Riad. Eigentlich ist die Ikal recht unverdächtig. Sie besteht zumeist aus einem wollenen Kern, der mit starken schwarzen Fäden straff umwickelt wird, um die nötige Festigkeit zu erzielen. Und im Normalfall dient die schwere Kordel im arabischen Raum dazu, die traditionelle Kopfbedeckung der Männer so zu befestigen, dass sie nicht verrutscht.


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Doch an diesem Freitag soll sie in Saudi-Arabien ganz anders eingesetzt werden. Mehrere tausend Männer haben sich bereits bei einer Facebook-Gruppe registriert, die dazu aufruft, alle Frauen, die sich im Rahmen einer landesweiten Protestaktion hinters Steuer eines Autos setzen, mit der Ikal zu verprügeln. Und hinsichtlich ihrer Durchschlagskraft wollen die Aktivisten offenbar nichts dem Zufall überlassen: Die Idee ganze Kästen mit Ikals gratis an Jugendliche zu verteilen, findet in der Gruppe regen Zuspruch.

Die konservativen Sittenwächter des Landes kann man mit solchen Aktionen zur Verteidigung des Frauenfahrverbots verlässlich hinter sich wissen. Dessen Aufhebung würde es Frauen ermöglichen, sich allein in der Öffentlichkeit zu bewegen, und damit zu gesellschaftlichem Chaos in Saudi-Arabien führen, warnt ein prominenter Kleriker. Frauen würden auf diese Weise nach falscher Selbstverwirklichung streben, statt den ihnen von Gott zugedachten Platz in der Familie einzunehmen.

Ermutigendes Beispiel

Doch die Frauen wollen nicht mehr so schnell klein beigeben - Kordeldrohung hin oder her. Mut gemacht hat ihnen vor allem Manal al-Sharif. Die Informatik-Ingenieurin, die ihren Führerschein in den USA gemacht hatte, hatte sich Mitte Mai hinter das Steuer gesetzt und sich dabei von einer Freundin filmen lassen. Das im Internet veröffentlichte Video, auf dem die 32-Jährige auch über die Vorzüge der weiblichen Fahrkunst referiert, wurde ein so großer Erfolg, dass die saudische Religionspolizei nicht mehr wegsehen konnte. Al-Sharif landete wegen der Anstachelung zur Missachtung des Fahrverbots für zehn Tage hinter Gittern und wurde erst wieder freigelassen, nachdem sie sich dazu verpflichtet hatte, nicht mehr Auto zu fahren.

Die von ihr initiierte Facebook-Gruppe Women2Drive hatten die Behörde schon zuvor eiligst vom Netz genommen. Dort hatte die Informatikingenieurin unter vielen Aspekte Stimmung für Auto fahrende Frauen gemacht. Und anderem schrieb sie: "Wir wollen leben wie vollwertige Bürgerinnen - ohne die tägliche Demütigung an einen Mann gekettet zu sein, der uns fährt." Die Seite, die auch als treibende Kraft hinter dem Frauenfahrtag stand, erzielte fast ebenso viel Zuspruch wie Al-Sharifs Video-Auftritt hinter dem Lenkrad. Unmittelbar vor der Sperre hatte Women2Drive 12.000 neue Mitglieder verzeichnet.

Doch die Saat für das Frauenfahren scheint trotz all der Blockaden gelegt. Dutzende andere Internetseite, die ein Ende des Fahrverbots fordern, sind mittlerweile aufgetaucht und immer mehr junge und gut ausgebildete Frauen setzen sich - ob von einer Kamera dokumentiert oder nicht - ans Steuer. Erst vergangene Woche wurden fünf von ihnen festgenommen. Den Einwand, dass sie auf einem Gelände abseits der öffentlichen Straßen unterwegs waren, ließ man dabei nicht gelten. Denn für die Elite des Königreichs geht es längst schon um mehr als ein paar Zugeständnisse an die Frauen. Sie fürchtet, dass sich das Thema bei zu viel Nachgiebigkeit zu einem Ruf nach weitreichenden Reformen ausweiten könnte. Und einen "arabischen Frühling" in Saudi-Arabien selbst will man um jeden Preis verhindern.