Zum Hauptinhalt springen

Der edelste Teil des Menschen

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals.

Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird."

Bert Brecht, Flüchtlingsgespräche, Aufbau-Verlag, 1961

Bertolt Brecht, selbst 1940 aus Nazideutschland geflüchtet, schrieb damals in seinen "Flüchtlingsgesprächen" über Flucht und Migration.

Wer selbst schon an Orten wie Afghanistan, Pakistan, Tschetschenien oder Sierra Leone gearbeitet hat – als Diplomat, Wirtschaftstreibender, Journalist, UN-Soldat oder Helfer einer NGO – und die Lage dort kennt, kann über Lehnstuhl-Berufszyniker in den Schreib- und Amtsstuben daheim nur verständnislos den Kopf schütteln. Aber nicht jeder mag Bert Brecht und bei besonders kaltschnäuzigen Misanthropen der Sorte Radau-Politiker und Boulevard-Schreiber kommt zuerst das leichtherzige Urteil über das Schicksal von Flüchtlingen und erst dann die Moral.

Das österreichische Asylrecht hätte die Möglichkeit des sogenannten subsidiären Schutzes (§8 Asylgesetz) ausdrücklich vorgesehen – wobei die Behörde in den gegenständlichen Fällen der Votivkirchen-Flüchtlinge auf §11 des Asylgesetzes verweist und eine "innerstaatliche Fluchtalternative" offenbar für zumutbar hält. Also: Wenn es im pakistanischen Swat-Tal – aus dem einige der Votivkirchen-Flüchtlinge kommen – zu gefährlich scheint, wird eben nach Lahore im Punjab abgeschoben, wo es sicher ist. Das Swat-Tal: Das ist übrigens dort, wo dem allseits bewunderten Schulmädchen Malala Yousafza von Taliban-Kämpfern ins Gesicht geschossen wurde, weil sie die Schule liebt.

Eine Frage, die sich aufdrängt: Warum schiebt der im Vergleich zu Österreich alles andere als reiche Libanon nach dieser Logik nicht hunderttausende syrische Flüchtlinge nach Damaskus ab, wo es doch zumindest in der Damaszener Innenstadt einigermaßen ruhig ist? Na? Eben.

Es wäre nobel gewesen, das Thema Asyl aus dem Wahlkampf – laut dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl die "Zeit fokussierter Unintelligenz" – zu halten. Doch wer im Konjunktiv lebt, kann nur enttäuscht werden.