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Der einarmige Bandit ist zurück

Von Clemens Neuhold

Politik
Lokalaugenschein der "Wiener Zeitung" in einer Spielhölle in Wien Favoriten.
© WZ

Im Jahr nach dem Wiener Automatenverbot: Lokalaugenschein in einem gut besuchten Hinterzimmer.


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Wien. Das "Hinterzimmer". Viel zitiert von Glücksspielkonzernen, die sich gegen das Verbot von einarmigen Banditen in Wien wehrten. In Selbiges werde sich das Glücksspiel verlagern, wenn es im Vorderzimmer verboten wird, unkten sie. Das Verbot kam. Wohin gingen die Zocker? Gibt es die berühmten Hinterzimmer in der verbotenen Stadt, und wenn ja, wie viele?

Weg ins Glück und zurück

Die "Wiener Zeitung" wurde im 10. Wiener Gemeindebezirk fündig. Eine Spelunke. An der Bar trinken Migranten aus Ex-Jugoslawien ihr Gösser. Die Tür zum Nebenraum steht einladend weit offen. Weniger einladend, weil zerfranst und speckig, ist der rote Teppich, der den Spielern ausgerollt wurde. Drinnen stehen auf Spanplatten, die notdürftig an die Wand montiert sind, zwei PCs. Die stickige Atmosphäre erinnert an ein Internetcafé. Der Rauch im Hinterzimmer vermengt sich mit den Schwaden, die aus den vollen Aschenbechern auf der Bar nach hinten ziehen. Auf den Bildschirmen rollen Früchte, Glocken, Ziffern. Ein einarmer Bandit wie in den guten alten Zeiten. Nur, dass sich das grelle Schauspiel nicht auf Slotmaschinen ereignet, wie sie etwa der Glücksspielriese Novomatic produziert, sondern auf einem stinknormalen Computer.

Generationen im Hinterzimmer

Selbst wenn wir spielen wollten, wir könnten nicht. "Heute kommst du nicht mehr dran", sagt der Kellner. Beide Geräte sind besetzt, dahinter wartet ein Mann mittleren Alters mit schwarzer Lederjacke, ein junger Mann mit Rucksack steht Schulter an Schulter mit einem jungen Schwarzen und einem schon sehr ergrauten Herren an die Wand gelehnt. Alle schauen den Zockern über die Schulter und kommentieren das Rotieren am Schirm. "Beim anderen Spiel gewinnst du mehr", gibt der Pensionist kluge Tipps. Spieler 1 mit der Glatze schließt irrtümlich das Fenster und flucht. Er ist kein Online-Zocker, der am Smartphone in der U-Bahn eine schnelle Runde Black Jack einlegt oder daheim am Laptop pokert. Er muss die Umstellung von den mannshohen Automaten auf die kleinen Bildschirme erst verkraften.

Check-in mit grünen Scheinen

Der Zocker am zweiten Gerät drückt die Taste. Die Früchte verlangsamen sich. Kein Treffer. Sein Guthaben von über 1000 Euro, das auf dem PC angezeigt wird, schrumpft. Wie kam es dorthin? Der Kellner an der Bar gibt Karten aus. Neben der Bar steht ein Terminal, der an einen Check-in-Automaten am Flughafen erinnert. Auf der Maschine steht ein Internetlink mit der Endung ".me", das steht für Montenegro.

Eingecheckt wird mit dem Pin auf der Karte. Über einen Schlund lässt sich das Spielerkonto aufladen. Auch grüne Scheine sind im Spiel, sonst hätte Spieler 2 mit seinem stolzen Konto den halben Tag mit Füttern des Terminals verbracht. Ob der Automat oder der Kellner den Gewinn ausspuckt, konnten wir nicht eruieren. Am PC gibt der Kellner den Username des Lokals ein, dazu der Pin - und los geht’s. Einsatz pro Spiel: Bis zu 5 Euro.

Im Favoritner Hinterzimmer geht Spieler 1 das Geld aus. Er blockiert die Tastatur mit seiner Marlboro-Packung und macht sich auf zum Bankomaten. Als er zurückkehrt, sitzt der Pensionist auf seinem Platz. Die Proteste des Rückkehrers ignoriert dieser. In Spiel vertieft zuckt er nur mit den Schultern. Der unterlegene Konkurrent ums kleine Glück nimmt grimmig seine Zigaretten und geht. Ins nächste Hinterzimmer? Oder war es ein Glückstreffer, diese Spelunke überhaupt zu finden?

650 illegale Automaten gibt es Wien. Das behauptet zumindest der Wiener Berater Andreas Kreutzer von der Agentur Kreutzer Fischer & Partner. "Das ist keine Schätzung. Wir kennen jeden illegalen Standort. 200 Marktforscher führen diese Zählungen nebenberuflich durch. Das sind Leute aus Migranten-Communities." Bei den illegalen Geräten soll es sich um klassische Slotmaschinen handeln, die oft hinter versperrten Sicherheitstüren stehen oder um einfache Computer wie in der Spelunke. Die PC-Automaten machen laut Kreutzer bereits 20 Prozent der illegalen Automaten aus.

Kontrolliert die Finanz auch Kulturvereine?

"Wir können diese Anzahl nicht bestätigen, da sie nach unserer Ermittlung für Wien deutlich zu hoch liegt", negiert das Finanzministerium diese Zahl. Dort ist die Finanzpolizei angesiedelt, die mit der Kontrolle des Spielverbotes betraut ist. Nachsatz: "Bei einer derartigen Anzahl hätten wir auch deutlich mehr Anzeigen aus der Bevölkerung. Allen Anzeigen wird nachgegangen und es finden laufend Kontrollen statt."

Überall? "In Wien stehen etwa zwei Drittel der illegalen Automaten in Kulturvereinen oder Lokalen, die ausschließlich von Menschen mit Migrationshintergrund besucht werden. In Kulturvereine geht die Polizei gar nicht rein", sagt Kreutzer.

Sollte dort das Glücksspiel blühen, wäre das ein herber Rückschlag für die Macher des Verbotes. In Migrantenbezirken boomte das Automatenglücksspiel - mit allen sozialen Folgen.

"Für Wien konnte bis dato keine große Anzahl derartiger illegaler Geräte in migrantischen Treffpunkten festgestellt werden", sagt das Ministerium. Kontrolliert die Finanzpolizei also auch dort akribisch?

Es steht Aussage gegen Aussage. Die Frage bleibt offen, ob munter weitergezockt wird oder das Suchtmittel den Konsumenten bis auf ein paar Hinterzimmer erfolgreich entzogen wurde.

Wie variantenreich vermutliche Umgehungsversuche des Verbots sein können, zeigt eine Recherche der Online-Plattform "Dossier". "Dossier" war an elf Standorten des Wettanbieters Cashpoint zum Lokalaugenschein. Statt der seit Jahresbeginn verbotenen Glücksspielautomaten fand man handelsübliche Standcomputer mit Internetverbindung zur Cashpoint-Homepage vor. Dort wurden Glücksspiele wie Roulette oder Blackjack angeboten - aber keine klassischen Slotmaschinen wie beim Lokalaugenschein der "Wiener Zeitung".

Glücksspiel findet in Wien statt, egal wo Server steht

Der Ablauf scheint aber ähnlich. Um die Computer nutzen zu können, benötigt man laut Dossier eine "Membercard", die gegen Vorlage eines Ausweises am Schalter im Wettlokal erhältlich sei. Dort könne man auch Geld auf die Karte einzahlen. Nach dem Login an einem der PCs sei das zuvor eingezahlte Guthaben auf dem eigenen Account verbucht. Nach dem Spielen könnten sich die Kunden das Guthaben direkt am Schalter auszahlen lassen.

Die Finanz will auf einzelne Anbieter nicht direkt eingehen, sieht die Sache aber unzweideutig: "Wie die Funktionsweise von Glücksspielgeräten im Einzelnen abläuft, ist für das rechtliche Ergebnis völlig irrelevant. Das heißt, auch wenn die Generierung des Ergebnisses auf einem Computer im Ausland erfolgen sollte, der Spieler aber hier seinen Einsatz tätigt und den Gewinn in Aussicht gestellt bekommt, gilt die Ausspielung am Ort des Spielers als bewirkt." Das heißt übersetzt, das Glücksspiel findet in Wien statt, auch wenn der Server in Malta oder in Montenegro steht - und ist illegal, weil es in Wien seit Jahresbeginn außerhalb von Casinos verboten ist.

Cashpoint bestreitet Verbindung zu Lokalen

Der Sportwettenanbieter Cashpoint, der zum deutschen Gauselmann-Konzern gehört, hat die Vorwürfe zurückgewiesen. "Unsere Angebote sind ausnahmslos rechtskonform", so Michael Wondra, Chef der Cashpoint Agentur und IT-Service GmbH. "Der operative Betrieb der Wettshops ist allein Sache der Franchisenehmer, zu denen grundsätzlich keinerlei gesellschaftsrechtliche Verbindungen bestehen." Auch mit der Cashpoint Entertainment AG habe man "trotz der Ähnlichkeiten in der Firmierung" keinerlei gesellschaftsrechtliche Verbindung. "Dem Unternehmen stellen wir im Rahmen unseres Franchisekonzepts lediglich Dienstleistungen rund um die Vermittlung der Sportwette zur Verfügung."

Eines steht fest: Den Finanzpolizisten wird nicht langweilig werden. Und vielleicht treffen sie doch bald auf die gut getarnten Marktbeobachter beim Automatenzählen.